Wie Künstliche Intelligenz Alltag und Arbeitswelt verändert – und was das für die Wirtschaft bedeutet.
Autonome und ferngesteuerte Fahrzeuge rollen durch die Stadt. Roboter liefern Pakete aus und putzen Büros. Intelligente Algorithmen unterstützen die Polizei bei der Arbeit. Was aus dem Klappentext eines Science-Fiction-Romans stammen könnte, steht tatsächlich in einem aktuellen wissenschaftlichen Text – Artificial Intelligence and Life in 2030. Darin geben Experten ihre Einschätzungen darüber ab, wie Künstliche Intelligenz (KI) unser Leben in den nächsten 15 Jahren verändern wird. Die Schrift liegt im Trend. Filmstudios versorgen uns mit fantastischen und bedrückenden Zukunftsvisionen einer Welt mit superintelligenten Maschinen. Die großen Internetunternehmen lassen uns mit ihren digitalen Assistenten spielen. Nachrichtenagenturen vermelden faszinierende Erfolge in der Forschung. Start-ups buhlen mit ihren KI-getriebenen Produkten um Aufmerksamkeit und Investoren. Und namhafte Persönlichkeiten warnen vor einer KI, die außer Kontrolle geraten könnte. Was ist dran an diesem Hype?
Peter Stone ist der Gründer und Direktor der Learning Agents Research Croup (LARG) am Artifical Intelligence Laboratory an der University of Texas at Austin. Wie für viele andere Experten in der KI-Forschung ist der aktuelle Hype nicht neu für ihn. „Wenn es um die Möglichkeiten der KI geht, über- oder untertreiben die Medien meist.“ Heute brüsten sich Forschungseinrichtungen und Unternehmen gerne mit KI. „Aber noch vor wenigen Jahren war das ganz anders. Damals hat man in KI vor allem eine Enttäuschung gesehen“, sagt er. Als „AI winter“, als „Winter der Künstlichen Intelligenz“ wird diese Phase der KI-Forschung auch bezeichnet. Vor einigen Jahren hat es allerdings wieder zu tauen begonnen. Der Aufstieg der KI ist dabei vor allem durch Neuronale Netze geprägt. Diese orientieren sich an Nervenzellen, sind lernfähig und eignen sich vor allem, um Muster zu erkennen. Das Internet mit seinen unzähligen Texten, Bildern, Audio- und Videodateien bietet dabei ein nie dagewesenes „Datenfutter“ zum „trainieren“ von KI. Neben Daten sind es immer leistungsstärkere Grafikkarten und Computer, bessere Internetverbindungen und kleinere Sensoren und Kameras, die die Entwicklung antreiben.
Einen Eindruck davon, was das konkret bedeutet, kann der Google Assistant geben. Die Software gibt es seit Ende Oktober in deutscher Sprache. Sie soll nicht nur einfache Fragen beantworten, sondern auch komplexere Aufgaben verstehen und ausführen. Möglich wird das unter anderem, indem sich der Dienst an bereits getätigte Aufgaben und Interaktionen mit dem Nutzer „erinnert“. Und während Apple, Facebook, Microsoft, Sony, Twitter, Toyota und viele andere Unterhemen in KI investieren, folgt eine erstaunliche Schlagzeile der nächsten: Zwei neuronale Netzwerke von Google entwickeln eine Verschlüsselungsmethode, die selbst den beteiligten Wissenschaftlern ein Rätsel ist. Eine Google KI kann Lippenlesen. Ebenfalls aus dem Hause Google stammt der virtuelle Spieler, der erstmals einen Profi im Brettspiel Go besiegt. Medienunternehmen basteln an KI-Tools – hierzulande zum Beispiel derStandard.at mit dem Projekt „De-Escalation-Bot“, einer Software, die dabei helfen soll, Foren zu moderieren. Google führt unzählige Testfahrten mit seinen autonomen Autos durch. BMW will bis 2021 ein selbstfahrendes Auto in Serie bringen. Und heuer starb erstmals der Fahrer eines Tesla bei einem Unfall – offenbar, während der Autopilot an war.
Selbstfahrende Autos sind derzeit ein heißes Thema, wenn über KI diskutiert wird. Einerseits bieten sie ein ideales Anwendungsfeld. Die Zahl der Verkehrstoten, Auffahrunfälle, Staus – all das könnten intelligente Autos in Zukunft deutlich reduzieren. Zugleich werden Fragen praktisch relevant, die bisher eher theoretisch waren. „Soziales Dilemma autonomer Fahrzeuge“, so bezeichneten Wissenschaftler diesen Sommer eine Studie im Fachmagazin Science. Darin wollten sie wissen, welche Art von selbstfahrenden Autos die Studienteilnehmer bevorzugen würden: Eines, das im Extremfall Fußgänger überfährt, um den Fahrer am Leben zu halten oder eines, das den Fahrer opfern und die Fußgänger damit retten würde? Das Ergebnis der Studie: Grundsätzlich bevorzugen die Teilnehmer das „utilitaristische Auto“. Sind sie selbst der Fahrer, möchten die Studienteilnehmer allerdings lieber in einem Auto sitzen, das die Fußgänger überfährt.
Autonome Fahrzeuge machen deutlich, wie wichtig es ist, ein KI-System weitgehend Fehlerfrei und „einbruchssicher“ zu gestalten. Und es führt vor Augen, dass KI unser Leben verbessern kann, wir durch sie als einzelner Mensch in vielen Fällen aber auch an Kontrolle verlieren.
Entstehung neuer BerufeVon Kontrollverlust wird wohl auch die Arbeitswelt geprägt sein. Laut einer Studie der Univeristy of Oxford könnten in den USA 47 Prozent aller Jobs durch KI gefährdet sein – vermutlich in ein oder zwei Jahrzehnten. Dass technologischer Fortschritt bestimmte Berufe obsolet macht, ist nicht neu. Neu ist, dass es nun auch stärker höherqualifizierte Berufe treffen könnte, zum Beispiel Buchhalter und Steuerberater. Laut Experten werden durch KI zwar auch neue Berufe entstehen – welche das sein werden, sei allerdings schwer vorhersehbar. Die Autoren von Artificial Intelligence and Life in 2030 betreiben keine Schwarzmalerei. Beim Thema Arbeit finden sie aber deutliche Worte: „Arbeit wird in der Produktion zu einem weniger wichtigen Faktor. Im Gegensatz zum Besitz von intellektuellem Kapital. Der Wert ihrer Arbeit wird für die meisten Bürger nicht ausreichen, um sich einen sozialverträglichen Lebensstandard leisten zu können.“ Manche Experten sehen in einem bedingungslosen Grundeinkommen eine Antwort auf diese Herausforderung.
Wirtschaftlich positive Nachrichten bietet dagegen eine aktuelle Studie der IT-Beratungsfirma Accenture. Demnach könnte KI das Wirtschaftswachstum in Österreich auf drei Prozent verdoppeln und die Produktivität der Beschäftigten um 30 Prozent steigen. Das läge vor allem daran, „dass sich die Beschäftigten zukünftig viel stärker mit kreativen Aufgaben und Innovationsfragen befassen werden.“
Manche sehen in KI nicht nur eine Gefahr für den Arbeitsalltag, sondern für die gesamte Menschheit. Und es sind nicht nur vereinzelte Futuristen, die warnende Worte finden. Auch der Physiker Stephen Hawking, Tesla-Gründer Elon Musk und Microsoft Gründer Bill Gates warnen vor den Risiken Künstlicher Intelligenz. „Wir müssen mit offenen Augen in die Entwicklung gehen, diese Möglichkeiten Berücksichtigen und versuchen, uns dagegen zu wappnen“, sagt Peter Stone. Er und die andern Experten stellen in Artificial Intelligence and Life in 2030 aber auch klar: „Im Gegensatz zu dem, was man in Filmen sehen kann, sind übermenschliche Roboter derzeit nicht wahrscheinlich und vermutlich auch nicht möglich.“
Wenn ein Computer einen Menschen im Go-Spiel schlägt, dann sei das beeindruckend, sagt Peter Stone. Und wenn ein Auto von selbst fahren kann, ebenfalls. „Aber aus dem einen folgt nicht das andere.“ Ein Teilerfolg mit KI bedeute nicht, dass man damit in einem anderen Bereich automatisch ebenfalls einen Schritt weiter mache. „Man muss sich auf alle Bereiche einzeln konzentrieren.“ Dass der Blick, den er und seine Kollegen in die Zukunft machen, gewagt ist, weiß Stone. In 15 Jahren kann viel passieren. Man müsse nur einen Blick in die Vergangenheit werfen: Das Smartphone habe man vor 15 Jahren zum Beispiel nicht vorhergesehen.
An autonome Fahrzeuge glaubt Stone trotzdem. Die Technologie sei ausgereift genug, erscheine ökonomisch sinnvoll und würde viele Vorteile mit sich bringen. „Aber es ist eine Prognose, kein Blick in die Kristallkugel.“
[Lukas Plank]