Herausforderung Technisierung und Social Medi...
 

Herausforderung Technisierung und Social Media

Oliver Gertz und Stephan Kreissler, MediaCom Interaction, über die Herausforderung Digital, Risikoaversion versus Nutzerverhalten und Technologie plus Content

Langfassung des Interviews aus HORIZONT 42-2012 vom 19.10.2012.

Vorbemerkung: Das Interview mit Oliver Gertz, Managing Director MediaCom Interaction EMEA, und Stephan Kreissler, Digital Media Director MediaCom Interaction Vienna, fand am 27. September bei den Medientage-digital in Wien statt - Gertz hatte gerade mit Frank Thomsen, Stern, als Eröffnungsdiskussion zu "Visionen der digitalen Zukunft" am Podium diskutiert.

HORIZONT: EMEA steht wofür und: what do you have to do there?

Oliver Gertz: Mein Job ist, das digitale Produkt, die digitale Dienstleistung der MediaCom in EMEA - steht für Europa, Middle East und Afrika - voranzutreiben und zu entwickeln. Mein Büro ist in Düsseldorf, wo ich vor acht Jahren bei MediaCom gestartet bin als damals Online-Chef für das deutsche Geschäft. Vor vier Jahren bin ich in die europäische Rolle gewechselt, um in den verschiedenen Märkten wie mit Stephan Kreissler hier in Österreich und seinen Kollegen in den anderen europäischen lokalen Märkten und den lokalen CEOs dafür zu sorgen, dass wir konstant gute Lösungen und Dienstleistungen für unsere Kunden im digitalen Bereich abliefern. Dass wir gerade bei den internationalen Kunden ähnlich gleiche Arbeits- und Denkweisen haben, dass wir globale Strategien richtig auf die lokalen Bedürfnisse adaptiert umsetzen können und auch dass wir Trends und Möglichkeiten, die sich gerade aus den Veränderungen im digitalen Bereich ergeben, schnell in den Märkten, die im digitalen Bereich schon voran sind, erkennen. Meine Aufgabe ist aber auch, aus allfälligen Fehlern zu lernen und die in anderen Märkten zu vermeiden. Es ist (lächelt, Anm.hs) nicht meine Aufgabe, der schlaueste digitale Mensch in der MediaCom Interaction zu sein, der zu jedem Thema die finale Antwort hat. Das wäre vermessen. Meine Aufgabe ist es jedoch, in die lokalen Märkte zu gehen, zu lernen und zu analysieren und zu überlegen, ob das auch in anderen Märkten funktionieren könnte. Der Benefit unseres globalen Networks besteht ja darin, dass wir als Organisation eine viel steilere Lernkurve habe und mit nicht in jedem Land ein Thema neu erarbeiten müssen sondern in jedem Land lernen können - und gleichzeitig in jedem Land eine starke Truppe habe, die nicht nur stumpf adaptiert, sondern vor allem ein starkes Verständnis hat ihres eigenen Marktes und ihrer eigenen Bevölkerung beziehungsweise des Konsumenten und dessen Verhalten. Da schließt sich dann der Kreis zu mir: Die sagen mir, ob etwas aus einem anderen Markt in ihrem Markt auch funktionieren könnte. Somit stehe ich auch in einem sehr starken Moderationsprozess.

Stephan Kreissler: Ich sehe für den österreichischen Markt daraus zwei große Ansatzpunkte, die für mich auch einen sehr großen Benefit haben. Erstens, dass wir uns über Kunden austauschen, die wir international betreuen und voneinander lernen können - warum soll das Rad in jedem Land neu erfunden werden? Gerade Österreich kann aus Fehlern und Best-Practices aus anderen Märkten enorm profitieren, und das muss nicht immer Deutschland sein, das können auch kleinere Märkte sein wie Dänemark, wo beispielsweise sehr viel im Mobile Marketing gemacht wird. Zweitens, von Oliver Gertz schon angesprochen: Wir profitieren ganz ungemein aus dem Überblick auf digitale Trends aus verschiedenen Märkten.

HORIZONT: EMEA ist aber eine ziemlich große, heterogene Zone ... wie weit geht denn eigentlich Europa?

Gertz: Bis Russland, Ukraine, die Türkei mit insbesondere Istanbul ist dabei, der Mittlere Osten mit Israel. Afrika schließlich ist für uns im digitalen Bereich primär Südafrika; Nordafrika wird von uns aus dem mittleren Osten, Dubai, aus betreut.

HORIZONT: Wieviele Länder, Büros respektive Stephan Kreisslers betreuen Sie in dieser Region?

Gertz: wir haben 26 aktive Online Teams, allerdings in deutlich mehr Ländern Büros.

HORIZONT: Wo steht denn auf einer Skalierung eins bis zehn die digitalwirtschaft in Österreich im Vergleich zu den entwickeltest Ländern in Ihrem Bereich? Und welches Land wäre diese top-Benchmark?

Gertz: Da ist eindeutig UK, also England, sehr weit vorne. Einmal, weil dort die Trends aus den USA am viel schneller aufgegriffen werden, aber primär, weil die Konsumenten in England am Offensten in der Annahme und Verwendung der digitalen Angebote sind. Bei einem Thema wie beispielsweise Facebook hatten wir in England eine viel schnellere und höhere Durchdringung als beispielsweise in Deutschland - und eine intensivere Nutzung. Daraus folgt, dass in England die Marketingverantwortlichen viel eher bereit sind, auch im digitalen Bereich Risiken einzugehen. Gerade wenn ich im Vergleich den deutschsprachigen Raum anschaue, leben wir hier in einer sehr risikoaversen Kultur. In Österreich kommt noch dazu, dass es sich um einen verhältnismässig kleinen Markt handelt und damit auch das Budgetpotential und das Ressourcenpotential, mal wirklich etwas Neues auszuprobieren, sehr viel kleiner ist. Da unterscheidet sich ein Markt wie Dänemark, ein noch kleinerer Markt, von der Mentalität her: Dänemark agiert globaler, Innovationsoffener. Das brauchen wir! Wir brauchen Kunden, die bereit sind, etwas Neues auszuprobieren - nur so können wir gemeinsam lernen. Unsere Aufgabe bei MediaCom Interaction ist es, dieses gemeinsame Lernen so zu gestalten, dass wir nicht hasadeurmässig Budgets verbrennen - aber ganz ohne Experimentieren und Fehlermachen geht´s eben auch nicht: Wer nicht wagt, gewinnt auch nicht.

HORIZONT: Wie groß ist also der Gap?

Gertz: Ich denke, UK ist uns aus dem deutschsprachigen Raum ein, zwei Jahre voraus. Der Gap wird auch immer kleiner. Gerade anhand der sogenannten Entwicklungsmärkte wie etwa Russland kann man das sehen: Russland hat 140 Millionen Einwohner, etwa 40 Millionen leben in wirtschaftlichen Verhältnissen, die mit Westeuropa vergleichbar sind. Diese 40 Millionen sind ihrem Konsum- und Medienverhalten Westeuropäern auch sehr ähnlich - die sind alle Online, nutzen Social Media sehr stark. Insofern gibt es das nicht mehr, dass wir sagen: Das Land ist weit hinterher. Die Frage ist immer: wie groß ist die digitale Avantgarde, wie breit ist der digitale Mainstream? Wenn wir uns die Türkei anschauen, einen unserer großen digitalen Wachstumsmärkte, so sind die in Facebook weltweit ganz vorn mit dabei. Der am stärksten wachsende Facebook-Markt ist übrigens Indonesien. Diese Märkte gehen nicht in entwicklungsschritten wie wir von Modem zu langsamem Internet und dann zu Breitband. Sondern die steigen direkt mit Social und Mobil ein, da werden ganze Entwicklungsschritte übersprungen. In China etwa ist AdServing, also dass die Agentur die Werbeleistung misst, bis vor kurzem nicht etabliert gewesen. Inzwischen wir die Internetnutzung in Panels gemessen - heisst, da wird das quantitative Messen von Page-Impressions einfach übersprungen und sofort in das Messen von Reichweiten und Zielgruppen hineingesprungen. In Europa steht dem teilweise ein anderes Verständnis von Datenschutz entgegen als in China, und natürlich ein Zögern, etwas bereits Etabliertes zu erneuern.



HORIZONT: Das Motto "Überspringen" gilt leider nicht für Österreich...?

Gertz: Wenn ich da ein wenig Kritik üben darf: In Österreich tun wir uns da besonders schwer. Da sind die Werbekunden, da sind die Agenturen, teilweise auch die Medien, die, wie schon gesagt, risikoavers agieren.



Kreissler: (bestimmt, Anm.hs.) Aber es ist sehr viel besser geworden: Früher gab es den Spruch ,wenn die Welt untergeht, möchte ich in Österreich sein, da passiert das zehn Jahre später' - mittlerweile sind es nurmehr ein oder zwei Jahre. Natürlich bleibt ein ewiges Thema die Skalierbarkeit: In Österreich habe ich denselben Aufwand, sprich Kosten, für ein vergleichbares Projekt in Deutschland, einem Markt, der zehnmal so groß ist. Die meisten Best-Practise-Beispiele kommen aus Deutschland oder den USA, und es sind auch die Kosten, die da oft entgegenstehen, es einfach auch auszuprobieren.

Gertz: Deshalb, das ist mir an diesem Punkt sehr wichtig, investieren wir bei der MediaCom Interaction vor allem in die Qualität unserer Leute, ganz nach dem MediaCom-Motto "people first"! Nur wenn wir top-Leute haben, können wir unsere Kunden auf ihrem Weg begleiten und in ihnen auch einen Teil des Risikos nehmen, indem wir sie einfach gut beraten.

HORIZONT: Soviel mal zu den Marktteilnehmern - und der Konsument, das Nutzungsverhalten in Österreich?

Kreissler: Die Werbespendings spiegeln eindeutig nicht das Nutzungsverhalten wider. Im Vergleich zu anderen Märkten sind die Reichweiten absolut da, das gilt auch für mobile, wo derzeit nur ein mini-kleiner Bruchteil der Budgets hinfließt. Das Problem ist eher, dass wir in Österreich nur sehr zögerlich und langsam auf Seiten des Marketing die gewohnten Bahnen verlassen. Wir reden seit fünf Jahren vom Mobile-Jahr und dessen Durchbruch. Vielleicht sollten wir lieber kein Jahr ausrufen, sondern mobile wird einfach da sein und alle werden das auch so sehen. Unsere Aufgabe als Agentur ist, für unsere Kunden wachsam zu sein und diesen Trend ja nicht zu verpassen.

Gertz: Wenn ich mir anhand von Case-Studies aus Österreich anschaue, wie Konsumenten auf Online-Kampagnen reagieren, dann würde ich sagen: Die Konsumenten in Österreich sind schon da! Am Beispiel unseres Kunden t-mobile in Österreich würde ich sogar sagen: Österreich ist innovativer, beweglicher und risikofreudiger als in Deutschland - weil t-mobile hier auch nicht Marktführer ist und die das deshalb sein müssen. Das Potential ist in Österreich da wie in anderen Ländern auch, es muss einfach nur genutzt werden.

HORIZONT: Was ist also ist das noch nicht genutzte Potential?

Gertz: Wir sehen zwei große Trends, die einander fast diametral gegenüberstehen aber zusammen geführt werden müssen. Einmal ist das Technisierung, also technologiegetriebenes Marketing - real-time-bidding, demand-site-plattforms oder Targeting verstehen. Indem ich den Nutzer in Echtzeit mit Information beziehungsweise Botschaften versorge, kann ich auch in Echtzeit entscheiden, welchem Nutzer welche Botschaft zu welchem Zeitpunkt angeboten wird. Das wird die ganze Art und Weise, wie Media eingekauft wird, radikal verändern. Das wird auch die Rolle der Mediaagentur radikal verändern, weil die ganze Umsetzung dann rein technologisch-maschinengetrieben sein wird und die Aufgabe der Mediaagentur eher das Steuern dieser Systeme sein wird.

HORIZONT: Das ist dann eine systemische Aufgabenstellung...

Gertz: Ganz klar: Mediaagenturen müssen Technologiekompetenz haben! Ich behaupte, dass wir bei der GroupM/WPP mit Abstand die Ambitioniertesten sind etwa mit Xaxis - wir haben Millionen Euro in die Hand genommen, Softwarefirmen gekauft beziehungsweise eigene Software entwickeln , um im Zielgruppentargeting in Echtzeit sehr differenzierte Nutzerprofile mit bis zu 600 verschiedenen Attributen bilden können, was uns erlaubt, die Nutzer ganz gezielt mit hoher Reichweite anzusprechen. Wir sagen ganz klar: Wir als MediaCom Interaction müssen die Technologie- und Datenkompetenz bei uns im Haus haben! Wer da nicht eigene Kompetenz aufbaut, hat geringe Chancen, gegen ein Google oder andere reine Technologiefirmen sich in Zukunft behaupten zu können. Targeting steigert die Effizienz der Marketinginvestments signifikant um 30 Prozent mindestens und bis zu 300 Prozent. Das ist die eine Seite: Unser Know-how und der Mehrwert für den Kunden - mehr als nur zu sagen, ich kann bei Google oder AdExchange Inventar einkaufen. Das kann fast jeder. Technologiekompetenz heisst vor allem Datenkompetenz: wie kann ich aus den gesammelten Daten Profile bilden, Zielgruppen erkennen? Da sehen wir einen großen, historisch gewachsenen Wettbewerbsvorteil für Mediaagenturen, weil wir uns schon sehr lange sehr intensiv mit Zielgruppen beschäftigen. Bei MediaCom haben wir an die hundert Statistiker, die ökonometrische Modelle rechnen für ganz Europa - die also hochkomplexe statistische Modell berechnen, um den Zusammenhang von Werbespendings und Werbewirkung zu verstehen. Wir haben sehr in Primärforschung zum Konsumentenverständnis investiert, in Consumer-Insights. Das sind Verständnisse des Kosumenten, die wir brauchen, um im Targeting die richtigen Entscheidungen zu treffen. Insofern glauben wir, dass wir in einem kulturellen Wandel stehen von einer reinen Dienstleistungsfirma zu einer sehr stark technologiegetrieben Firma. Das hängt auch mit entsprechenden Investments zusammen: WPP hat vor vier Jahren die Technologiefirma 24/7 gekauft und 650 Millionen Dollar bezahlt. Die liefern uns die Basistechnologie. Wir müssen aber auch sehen: Im Echtzeit-Markt, im real-time-bidding, ist Größe kein Vorteil mehr. Unsere Antwort darauf ist: Größe hat nurmehr den Vorteil, technologisch ganz vorn zu sein.

HORIZONT: Also Technologiekompetenz zum einen - der zweite Trend?

Gertz: Der zweite Trend könnten wir Social Media nennen, sollten das aber nicht auf Facebook reduzieren - Facebook ist gerade halt die Spielwiese und das Gesicht für Social Media. Die Frage hier ist: Mediaplanung ist traditionell darauf ausgerichtet, Werbebotschaften zum Konsumenten zu tragen und Kontakte zu sammeln. Wir leben jedoch in einer Welt, in der die Marken zu diesen Botschaften bekannt sind - die meisten unserer Kunden haben Markenbekanntheitslevels, die kaum mehr zu steigern sind. Es geht also nicht mehr darum, zu sagen ,Hallo, hier bin ich' und Awareness aufzubauen. Sondern es geht darum, emotionale Bindung aufzubauen, eine Marke relevant zu machen oder immer komplexer werdende Produkte zu erklären. Vor allem geht es darum, einen Dialog zu schaffen zwischen der Marke und dem Konsumenten. Das ist heute Facebook: Das ist eine Plattform, auf der ich Dialog und Reichweite verbinden kann. Auf Facebook schaffe ich es, einige hunderttausend Menschen zu erreichen, die irgendwie auch interagieren, zwar nicht sehr intensiv - aber sehr viel stärker als beim rein passiven Rezipieren einer Werbebotschaft. Das wird die zweite große Herausforderung sein - ein Bereich, wo wir noch nicht so weit sind wie in der Technologie: Nämlich das Steuern dieser Kontakte. Harvey Goldhersz, unser weltweiter Online-Chef, sagt: Unsere Zukunftsaufgabe ist die Distribuierung von Content. Content ist die klassische Anzeige und der klassische Spot - kann aber eben auch etwas viel Größeres sein...

HORIZONT: Größeres...?

Gertz: Zum Beispiel der Flashmob in UK für t-mobile, wo hunderte im Bahnhof getanzt haben. Das ist ein von der Werbeagentur produzierter Content, der über alle Kanäle von uns ausgespielt wurde neben TV vor allem über Soziale Medien auch viral verbreitet wurde. Unsere Aufgabe dabei ist: Wir helfen dem Kunden zu verstehen, mit welcher Art von Content der Konsument bereit ist, zu interagieren. Da arbeiten wir mit den Kreativen zusammen, die auch zunehmend media-affin denken und entwickeln Wirkungsmechanismen. Dann haben wir diesen Content - und der soll dann auch distribuiert werden. Jede Minute werden an die sechs Stunden auf YouTube hochgeladen - es reicht also nicht, tollen Content zu haben, er muss auch distribuiert werden und Reichweite generieren, bevor ihn virale Effekte vielleicht noch stärker machen können. Das wird zunehmend unsere Aufgabe: Die Verlängerung des mediaplanerischen Denkens, aber mit anderen Arten, viel komplexeren Arten des Inhalts. Wir als Mediaagentur werden Interaktion und Dialog managen.

HORIZONT: Was heisst das für die Honorierung? Das muss ja auch bezahlt werden?

Gertz: Zunächst investieren wir in unsere eigenen Fähigkeiten und entwickeln Skills. Wir müssen das Angebot einmal schaffen, bevor es der Kunde kaufen kann. Aber wir sehen ganz klar, dass die Kunden das goutieren und honorieren und dass sie auch bereit sind, Honorare zu zahlen, die deutlich höher sind als für klassische Mediaplanung und -einkauf.

HORIZONT: So einfach geht das?

Gertz: Der Gedanke ist immer: Wir müssen unseren Kunden Mehrwert schaffen. Wenn wir es schaffen, dem Kunden Mehrwert zu dokumentieren, dann wird er auch bereit sein, dafür zu zahlen - es sei denn, jemand anders kann es sehr viel günstiger. Mit einer gut gemachten Social-Media-Aktion heute kann ich aus einem Budget deutlich mehr Interaktion herausholen als wenn ich klassisch Banner schalte und den Nutzer auf eine Website führe. Der Kunde muss sich nicht anschauen ,Was zahle ich meiner Agentur?' und ,Was zahle ich für meine Mediainvestitionen?' sondern sich fragen ,Was zahle ich für meine Kampagne?'. Wenn ich nun von Paid-Media zu Owned- und Earned-Media wechsle, dann steigt der Anteil der Agenturleistung, nicht nur von Mediaagenturen, sondern von allen, die Content produzieren - gleichzeitig können jedoch die Gesamtkosten der Kampagne sinken. Das ist es, was der Controller hören möchte: Den interessiert nicht, was der Agentur bezahlt wird, sondern wie aus dem Werbeinvestment das Maximale herausgeholt werden kann. Da spielt dann eine Rolle, dass wir als Mediaagentur schon seit Jahren in die Effizienzmessung investieren und diesen Werbewirkungsnachweis führen können. Wir sind da in einem Bereich der Effizienzdenke: Die Idee muss nicht nur dem Kunden gefallen, sie muss dem Konsumenten gefallen und das können wir auch messen und wir können auch zunehmend messen, inwieweit die Kampagne zu Veränderungen führt im Kaufverhalten und in der Markenwahrnehmung. Diese Effizienzdenke ist sicherlich auch eine der Kernkompetenzen und Assets, die eine Mediaagentur einbringen kann.

HORIZONT: Über diese Content-Mitgestaltung verändern sich aber auch die Ansprechpartner der Mediaagentur?

Gertz: Ja, wir sind näher an den Marketingentscheidern dran und bei den Vertriebsentscheidern, da das Thema e-commerce immer wichtiger wird. Wir kommen näher an die Unternehmenskommunikation und die PR-Abteilungen ran. Internet ist eben ein Kommunikationskanal, der sehr viel mehr hat als Medienkonsum und das Ausliefern von Werbebotschaften. Unsere Kunden möchten, dass wir ihnen die gesamten Möglichkeiten eröffnen, und das heißt auch, dass wir uns breiter aufstellen.

HORIZONT: Das Gesamtbild als Herausforderung...

Kreissler: Genau: Die Herausforderung ist die Vernetzung all dieser Themen und Möglichkeiten. Das ist auch das Asset einer Mediaagentur: Wir verstehen alle Bereiche und Spezialisten und können sie vernetzen, wir haben das Gesamtbild im Auge. Das ist das Zauberwort: Den Konsumenten interessiert nicht, ob er den Spot am Tablet, im Fernsehen oder Smart-TV gesehen hat oder sonstwo. Für uns ist es wichtig, den Konsumenten in der richtigen Nutzungssituation zu erfassen, seine Aufmerksamkeit zu bekommen damit seine Attitude zur Marke langfristig aufzubauen, die richtigen Geschichten zu erzählen, den richtigen Content zu liefern.

HORIONT: EU-Datenschutzrichtlinie?

Gertz: Das Thema ist ganz wichtig, hat aber zwei Ebenen. Einmal: Wenn wir Sachen machen, die die Konsumenten nicht gut finden - also Sachen, die ich meiner Mutter nicht erzählen könnte, ohne dass sie sich dafür schämen würde was ich tue - dann sind wir auf dem falschen Dampfer! Wir können als Werber, als Marketeers nichts tun, was die Zielgruppen nicht möchten. Das muss immer das Leitprinzip sein, noch viel wichtiger als das Einhalten der Gesetze. Die Gesetze sind - gerade in Deutschland ist die EU-Richtlinie noch nicht umgesetzt - noch relativ liberal. Gleichzeitig wollen wir nicht, dass gesetzliche Bestimmungen sozusagen das Kind mit dem Bade ausschütten - die Gefahr sehe ich sehr stark. Was wir machen, weltweit als MediaCom, als GroupM, als WPP, ist für die Selbstregulierung weltweit zu plädieren: Das ist der zur Werbung erscheinende Button, über den sich der Konsument informieren kann, was für Daten für welche Zwecke gesammelt werden und auf einer zentralen Sammelstelle auch, wenn er das will, alle ausschalten kann. Wir sind Verfechter der Opt-Out-Lösung, die auch jetzt geltende Praxis ist. Selbst wenn es ein Opt-In-Regelung geben sollte, werden wir auch damit leben können müssen. Ich sehe die größte Gefahr bei einer Opt-In-Regelung darin, dass sie genau das Gegenteil erreicht von dem, was gewünscht ist: Es wird für einen Werbekunden aus Österreich sehr schwer sein, ein generelles Opt-In zu bekommen - es wird aber für ein Google und ein Facebook extrem einfach sein, ein Opt-In zu bekommen. Heisst: Wenn wir ein Opt-In bekommen sollten, würden wir die amerikanischen Datenmonster stärken, da die auf den Endkonsumenten abzielen und den Effekt erleben, dass es nurmehr wenige, nicht-europäische Player geben würde, die extrem viel Daten sammeln können, während österreichische Medienhäuser und Mediaagenturen massive benachteiligt werden würden. Google kann Europa und Österreich von den USA aus bedienen - das wird ein Manstein-Verlag nicht können.

HORIZONT: Noch ein Wort zu Google als Konkurrent zu Mediaagenturen?

Gertz: Ich bin davon überzeugt, dass Larry Page im Endeffekt denkt, dass Mediaagenturen und seine eigenen Verkaufsteams überflüssige manuelle Schritte in einem ineffizienten Prozess sind, der ausschließlich von Computern gemanaged werden könnte. Wenn die Wertschöpfung einer Mediaagentur ausschließlich daraus bestehen würde, Geld vom Kunden zu nehmen und es zu Medien zu tragen und Werbeflächen vom Medium zu nehmen und zum Kunden zu bringen, dann hätte er recht.

Doch wir sehen, dass Konsumentenverständnis und das Wissen, wie Marken gestärkt werden könnnen, nicht von Computern ersetzt werden könnnen. Gerade mit den massiven Chancen im Digitalen bauchen Werbungtreibende starke Berater. Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Deshalb investieren wir selber in Technologiekompetenz und deshalb investieren wir in Contentkompetenz. Nur wenn wir es schaffen, unseren Kunden einen Mehrwert zu bieten der höher ist als das, was eine rein technologiegetriebene algorithmusgetriebene Mediaoptimierung haben wir eine Überlebenschance. Es gibt ein schönes Zitat von Bill Gates: ,Wir überschätzen immer die Veränderungen, die in den nächsten zwei Jahren kommen werden und wir unterschätzen die Veränderungen, die in den nächsten zehn Jahren kommen werden'. Ich glaube, wir sind genau an diesem Punkt: Die Arbeit einer Mediaagentur wird sich in den nächsten zehn Jahren radikal verändern. Wir werden uns also radikal verändern müssen, dann wird es uns noch geben - mit dem Beckenbauer´schen ,schaun mer mal' werden wir es nicht schaffen. Aber das glaube ich nicht.

HORIZONT: Gibt´s in zehn Jahren noch Google und Facebook in heutiger Form und Präsenz?

Gertz: Ich denke, es wird sie geben. Das Konzept Suchmaschine wird weiterhin seine Wichtigkeit behalten. Es ist eben etwas ganz anderes, ob ich gezielt-rational nach etwas suche. Dieser Moment, wo der Konsument ganz gezielt nach der Lösung seines Problems sucht: Aus Werbersicht gibt es keinen wertvolleren Moment, den Konsumenten anzusprechen. Somit kann Google auch weiterhin erfolgreich sein. Zu Facebook: Internet ist und war schon immer ein Kommunikationsmedium. Soziale Kommunikation wandert ins Netz, das ist unwiderruflich. Insofern wird Social Media als Plattform der Kommunikation nicht verschwinden - aber es braucht Facebook nur ein zwei Fehler machen und das nächste coole ding kommt, dass es besser macht. Wenn wir zehn Jahre zurückblicken: Da war Yahoo eine Macht und Microsoft ganz stark am Aufholen, da gab es Apple als Medienunternehmen noch nicht.
stats