Geoblocking: Was der Stopp bedeutet
 

Geoblocking: Was der Stopp bedeutet

Maridav
Passenger traveler woman in airport waiting for air travel using tablet smart phone. Young business woman smiling sitting with travel suitcase trolley, in waiting hall of departure lounge in airport.
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Laut EU-Kommission sollen Europäer heimische Onlineinhalte auch im EU-Ausland nutzen können. HORIZONT beleuchtet, wie sich das auf Medien und Werbung auswirkt.

In einer Welt des wachsenden politischen Populismus und protektionistischer Tendenzen soll Europa nach Plänen der EU-Kommission weiter zusammenrücken – auch in der digitalen Welt. Der jüngste Wurf der Kommission sind neue Vorschriften, die Reisenden den grenzüberschreitenden Konsum von Onlineinhalten erleichtern sollen – das Content-Geoblocking soll ab 2018 der Vergangenheit angehören; Urlauber und Geschäftsreisende können dann die selben Spiele, Filme, Musikstücke und E-Books konsumieren, die sie auch aus ihrem Heimatland kennen. Die Reaktionen der Branche auf dieses Vorhaben fallen unterschiedlich aus; zudem gelten nicht für alle Marktteilnehmer die selben Vorschriften, und das tatsächliche Aussehen der endgültigen Fassung ist noch ungewiss.

Positive Reaktionen gibt es auf Nachfrage von HORIZONT von jenen Marktteilnehmern, die ihre Inhalte kostenpflichtig anbieten. „Wir freuen uns, dass unsere Kunden – aus all unseren Märkten – ihre Inhalte über unsere mobilen TV-Plattformen zukünftig überall in Europa ansehen können“, heißt es etwa aus der Pressestelle des Pay-TV-Senders Sky Österreich, dessen Inhalte nicht nur auf dem TV-Gerät, sondern auch über Apps abgerufen werden können. Ähnlich Töne schlägt der US-Konzern Amazon an: „Wir waren im Namen unserer Kunden von jeher ein starker Verfechter dieser Änderung und heißen sie willkommen“, sagt Jay Marine, Vice President Amazon Video Europa: „Die Änderung kommt direkt den Kunden zugute, indem sie ihnen ermöglicht, auf Reisen in der EU auf die digitalen Inhalte zuzugreifen, die sie zu Hause gekauft oder abonniert haben.“ Kunden von – nach Eigenangabe von Amazon – Deutschlands beliebtestem Video-Streaming-Service Amazon Prime Video können dann etwa alle Inhalte ihres in Österreich abgeschlossenen Abos nutzen, wenn sie zum Beispiel nach Frankreich reisen. Kein Problem hat Amazon dabei mit der Ausspielung von regional zugeschnittener Werbung, wenn EU-Bürger in ein anderes Land reisen, denn Amazon Prime Video ist generell werbefrei, bei der Ausspielung diverser Trailer und Programmhinweise wird sich nichts ändern.

Free TV: Streuverlust wäre möglich

In einer anderen Lage sind Free-TV-Anbieter, deren Geschäft aus Werbeeinnahmen besteht. „Bei uns sind alle Inhalte mit Geoblocking versehen, mit höchstem Convenience-Faktor für die User“, sagt etwa Michael Buchbinder, Director Interactive bei ProSiebenSat.1 PULS 4. Österreicher bekommen dort heimische Inhalte mit heimischer Werbung. Vom Geoblocking profitieren die Werbekunden der Free-TV-Anbieter – sie können sich gewiss sein, dass sie online mit Werbung für in Österreich erhältliche Produkte jene Endkunden erreichen, die eine hiesige IP-Adresse haben, sich also in Österreich aufhalten. Würde das Geoblocking wegfallen, so wäre auch das gezielte Ansprechen von Endkunden via Geotargeting schwieriger. Streuverluste wären zu befürchten, wenn sich der Konsument nicht im Inland aufhält – auf die Branche kämen neue Herausforderungen zu. Rechte für internationale Serien, Filme, Sportübertragungen, und Agenturcontent werden zudem oft für einzelne Staaten eingekauft. Wären die Inhalte in allen EU-Staaten verfügbar, müssten die Lizenzen neu verhandelt werden. Noch steht im aktuellen Vorschlag der EU-Kommission aber, dass Free-TV-Sender nicht verpflichtet sind, das Geoblocking bei Onlineinhalten aufzuheben. Sollte es dabei bleiben, käme es also nicht zu Streuverlusten.

Auch die Onlinedienste öffentlicher Fernseh- und Hörfunksender – also auch der ORF, der sich teils via GIS finanziert –, sind vom Geoblocking-Stopp ausgenommen. Vom ORF heißt es, dass der Vorschlag derzeit im Detail analysiert wird, es wird wohl auch die ORF-eigene Onlinevideothek Flimmit unter die Lupe genommen werden. Ein offizielles Statement ist laut ORF zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Nicht kommentiert werden die Pläne der EU-Kommission auch von Apple und Google, die kein bezahltes Videostreaming bieten, in deren Onlinestores aber Filme gekauft werden können. Von Google Österreich wird betont, dass zum derzeitigen Zeitpunkt noch kein Statement möglich ist, da die Regelung erst 2018 in Kraft tritt – frühestens.

Marathon durch Brüssel

Dies wird von Heinz-Rudolf Miko, Pressesprecher der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, bestätigt. Denn 2018 ist lediglich der Wunschtermin der EU-Kommission; die Pläne liegen nun beim Rat der EU und beim Europäischen Parlament und können von diesen Institutionen genehmigt, abgelehnt oder mit Änderungen zurückgeschickt werden. Auch die Kommission selbst kann ihren ursprünglichen Vorschlag zurückziehen, wenn die Veränderungen der anderen Institutionen gegen den Geist des ursprünglichen Vorschlags verstoßen.

Einzelne Branchenvertreter äußerten gegenüber HORIZONT auch ihre Zweifel, dass User im Ausland eindeutig ihrem Heimatland zugeordnet werden können – denn wer als Wiener in München online geht, der hat auch eine dortige IP-Adresse. Die Lösung, die von Amazon ebenso wie von Miko goutiert wird: Wenn der Nutzer sich bei Diensten wie Amazon oder Netflix registriert, wird er eindeutig über seine heimische Kreditkarte und IP-Adresse identifiziert; wenn er sich anschließend im Ausland in seinen Account einloggt – eine Voraussetzung, um die kostenpflichtigen Inhalte zu konsumieren –, wird er eindeutig als Österreicher erkannt, auch wenn er gerade in Barcelona sitzt.

Laut Miko kann damit auch das Thema der Lizenzrechte für Fremdcontent – etwa zugekaufte US-Filme und Serien – gelöst werden: Der User hat bereits im Inland bezahlt und bleibt ein Österreicher, auch wenn er sich gerade im Ausland aufhält. „Die Grundgesamtheit der österreichischen Seher ändert sich nicht, auch wenn der Österreicher gerade Urlaub in Spanien macht“, sagt Miko.

Aus für Roaming

Für die EU-Kommission ist die Abschaffung des Content-Geoblockings ein weiterer Baustein in der Schaffung eines digitalen Binnenmarkts, zu dem auch die schrittweise Abschaffung der Roaminggebühren gehört: Bei der Abschaffung der Roaminggebühren innerhalb Europas haben sich Anfang dieses Monats die EU-Institutionen darauf geeinigt, wie die Roamingvorleistungsmärkte reguliert werden sollen – dabei geht es um jene Preise, die sich die Betreiber gegenseitig in Rechnung stellen, wenn sich ein Kunde im EU-Ausland aufhält. Die Obergrenzen ab 15. Juni 2017 im Detail: 3,2 Cent pro Minute für Anrufe, 1 Cent pro SMS und eine schrittweise Senkung der Preisobergrenzen für Datenverkehr über fünf Jahre – von 7,70 Euro pro GB ab 15. Juni 2017 bis 2,50 Euro pro GB ab 1. Januar 2022. Diese Preise verrechnen sich die Anbieter untereinander, sie dürfen sie aber nicht an die Endkunden weitergeben.

„Das war das letzte Puzzleteil“, sagt Andrus Ansip, Vizepräsident für den digitalen Binnenmarkt: „Ab dem 15. Juni werden alle Europäer in der EU reisen können, ohne Roaminggebühren zu zahlen.“ Sie zahlen im EU-Ausland also die gleichen Gebühren wie zu Hause, das ist praktisch für Urlauber ebenso wie für Geschäftsreisende: Etwa Journalisten, die bei einer Liveberichterstattung von Events im Ausland ihren dortigen Konkurrenten nicht mehr technisch unterlegen sind. Bis Ende 2019 wird die EU-Kommission eine Überprüfung des Vorleistungsmarkts durchführen. Bis Sommer soll den Telko-Anbietern genug Zeit für die Umsetzung bleiben.



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