Snapchat hat den Sprung an die Börse geschafft, kämpft aber mit Gegenwind. Warum Unternehmen auf die App setzen und wo ungenutztes Potenzial für Marken liegt.
Im richtigen Moment abdrücken, einen Filter und ein Emoji hinzufügen und das Ganze mit den Freunden als „Story“ teilen, welche sich nach kurzer Zeit wieder selbst löscht – das ist Snapchat, das Flaggschiffprodukt des US-Unternehmens Snap, welches seit seiner Gründung im Jahr 2011 Manager der Kommunikationsbranche zu neuen Marketingexperimenten motiviert und nun Anfang März den Sprung an die Börse wagte.
Es war der größte US-Börsengang seit der chinesische Onlinehändler Alibaba 2014 den Sprung aufs Parkett wagte. Und die Gefühle waren gemischt.Denn der erste Tag an der New York Stock Exchange verlief für das Unternehmen aus Venice, Kalifornien, durchaus erfreulich. Nach einem Ausgabepreis von 17 Dollar stieg der Wert der Aktie um rund 44 Prozent auf 24,50 Dollar (23,30 Euro) pro Stück, der Börsenwert von Snap stieg auf über 28 Milliarden Dollar.
Zum Vergleich: Der Social-Media-Platzhirsch Facebook ist mit einer Marktkapitalisierung von knapp 400 Milliarden Dollar zwar deutlich mehr wert, der kriselnde Konkurrent Twitter kommt jedoch mit rund elf Milliarden Dollar auf eine deutlich geringere Marktkapitalisierung. Nachdem Investoren den Snap-Kurs in den ersten Tagen aber stark nach oben getrieben hatten, waren sie in der darauffolgenden Woche bereits deutlich skeptischer eingestellt: Am Montag, 6. März, brach der Kurs um mehr als zwölf Prozent auf 23,77 Dollar ein, wodurch die Aktie bereits weniger wert war als am ersten Handelstag.
Kein MitspracherechtEs scheint, als sei die erste Euphorie nun einem gewissen Realismus gewichen – denn es lässt sich nicht leugnen, dass das Unternehmen mit Schwierigkeiten kämpft und ein Investment in Snap ein gewisses Risiko darstellt.Unter anderem sorgt es unter Investoren für Stirnrunzeln, dass die Aktien ohne Stimmrechte ausgegeben wurden, die Aktionäre also kein Mitspracherecht haben. Dadurch wollen die Snap-Gründer Evan Spiegel (26) und Bobby Murphy (28) sicherstellen, dass sie auch weiterhin die Kontrolle über ihr Unternehmen behalten.
Für Teilnehmer an der Börse bedeutet dies aber im Umkehrschluss, dass sie die Entwicklung ihres Investments nur in geringem Ausmaß mitgestalten können. Ein weiterer kritischer Punkt an Snap ist die Entwicklung der Nutzer- und Geschäftszahlen – wie unter anderem Monika Rosen, Chefanalystin von Bank Austria Private Banking, gegenüber HORIZONT ausführt: „Snap war noch nie profitabel“, sagt sie. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen einen Verlust von 514,6 Millionen Dollar gemacht, nach einem Minus von knapp 373 Millionen Dollar im Jahr 2015.
Immerhin ist beachtlich, dass der Umsatz von 58,6 Millionen Dollar im Jahr 2015 auf 404,5 Millionen Dollar 2016 deutlich in die Höhe geschossen ist (siehe dazu Grafik auf Seite 2).Analog zum Umsatz ist auch die Zahl der Nutzer stetig gestiegen. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres hatte Snapchat 158 Millionen User pro Tag, im Gesamtjahr 2016 stieg die Nutzerzahl um rund 50 Millionen. Ein Großteil der Snapchat-User sitzt in den USA, doch auch in Europa steigt die Nutzung an. Besonders beliebt ist das Social Network bei der Zielgruppe der jungen User – und gerade das birgt grundsätzlich auch Potenzial für österreichische Werbetreibende.
In der heimischen Marketingbranche scheiden sich aber immer noch die Geister, wie viel Mehrwert der – für viele immer noch mysteriöse – Social-Media-Kanal für Unternehmen und deren Kommunikation bieten kann. Ein Mitgrund, weshalb hierzulande, im Unterschied zu unseren deutschen Nachbarn, nur wenige Unternehmen wie Coca-Cola oder McDonald’s Zeit und Budget in die App investieren.
Snapchat steht dabei in direkter Konkurrenz zu Facebook, einer Plattform, der Werbetreibende aktuell mehr Vertrauen entgegen bringen, obwohl der Kontakt auf Snapchat qualitativ hochwertiger ist, erwähnt Ana-Maria Birsan, Geschäftsführerin von Lieblingswort Kommunikation. „Auf Facebook wird man mit Sachen überflutet. Der Mehrwert von Snapchat ist ganz klar die Qualität der Plattform. Der User entscheidet sich aktiv für ein Folgen. Das ist für mich Followerpower, wie sie keine andere Plattform hat“, so Birsan.
Jeder View, der also auf Snapchat generiert wird, kommt nur von Menschen, die auch wirklich einen Inhalt konsumieren wollen – und beispielsweise nicht nur über ein Posting hinweg scrollen. „Unternehmen in Österreich sollte das doch mehr wert sein, als eine Anzahl an Views, von denen man nicht genau weiß, ob die User den Content bewusst sehen wollten“, sagt Blogger und Influencer Christoph Teufel.
Auch er verweist auf die bis dato noch zurückhaltenden Snapchat-Aktivitäten österreichischer Unternehmen, unterstreicht aber das Potenzial des Kanals. Und auch Birsan erwähnt gegenüber HORIZONT, dass die Qualität der Follower auf Snapchat für sie um ein Vielfaches größer sei als auf Facebook. Neben der Qualität der Anhängerschaft auf Snapchat ist die Authentizität des Kanals ein Alleinstellungsmerkmal.
Im Vergleich zu anderen Plattformen wie Instagram und der vor Kurzem eingeführten Funktion Instagram Stories hebt sich Snap deutlich ab. „Instagram Stories sind einfach nicht so authentisch, weil in den Storys viele, großteils schon geschönten, Content darstellen und weniger das ‚Behind the Scenes‘ zeigen, wie es zu den Bildern kommt, wie es laut Aussage von Zuckerberg das Ziel war“, erklärt Teufel.
Die KontinuitätEin Unternehmen, das schon länger auf Snapchat aktiv ist und dort insbesondere eine junge, aktive und kritische Audience erreicht, ist McDonald’s. „Snapchat ist auf Grund seines Setups ein besonders direkter Kanal zur Audience. Es geht um Emotionen, Unmittelbarkeit und Authentizität, das verbindet“, sagt Ursula Riegler, Unternehmenssprecherin McDonald’s Österreich. Die Kommunikation via Snapchat ist Teil einer umfassenden Marken- und Social-Media-Strategie und nicht „eines kurzfristigen One-off“, so Riegler.
Die Umsetzung erfolgt durch eine Mitarbeiterin mit Unterstützung der Agentur Virtue. Den einzelnen Kanal zu kennen und vor allem zu verstehen, sei die Basis um eine neue Plattform aktiv und erfolgreich zu nutzen. „Auf Snapchat wird ein Unternehmen niemals erfolgreich sein, wenn sie dort nur kampagnenweise auftreten. Auf Snapchat braucht man eine Kontinuität, wenn man die nicht gewährleisten kann, dann bekommt man auch keine ordentliche Followerschaft zusammen“, so Birsan. Für sich entdeckt hat den Kanal auch das Social-Media-Team von Coca-Cola Österreich, das vor Produkteinführungen und Kampagnenstarts der Followerschaft exklusiven Content zukommen lässt.
„Wir bei Coca-Cola zeigen zum Beispiel Liveeinblicke in die Dreharbeiten für den nächsten TV-Spot mit David Alaba, also Content, der für Außenstehende normalerweise gar nicht zugänglich ist. Durch den Einsatz von Snapchat ermöglichen wir Konsumenten somit exklusive Behind-the-Scenes-Einblicke“, erklärt Sandra Kaliszewski, Social Media Manger CIC CEE bei Coca-Cola. McDonald’s wie auch Coca-Cola werden Snapchat 2017 noch aktiver bespielen und setzen thematische Schwerpunkte.
Werbung auf Snapchat werde wie in den USA (siehe Infobox) auch im deutschsprachigen Raum bald kommen und damit neben dem Bespielen von Content auch jene von klassischen Werbeplätzen möglich sein, prophezeit Birsan. Heimischen Unternehmen ist also geraten, eine Community aufzubauen, bevor dafür finanzielle Mittel notwendig sind. Noch gibt es dabei ein Manko: Es gibt derzeit keine Tools zur Auswertung der Kommunikation. „Es bleibt jedoch zu hoffen, dass sich dieser Umstand durch den Börsengang langsam ändert“, sagt Kaliszewski. Bis dato müssen Reichweiten und Interaktionen manuell getrackt werden.
Ungewisse ZukunftWährend die Marketingexperten sich an das Aufbauen einer Community machen, bleibt die Zukunft von Snap selbst ungewiss – das zeigt unter anderem der Vergleich mit dem großen Konkurrenten Facebook. „Denn Facebook macht derzeit fünf Dollar Umsatz pro User, bei Snap ist es ein Dollar pro User“, sagt Analystin Rosen. Nutzen könnte Snap ebenso wie den Werbetreibenden, dass die Zielgruppe jung ist: junge User haben zwar ein geringeres Einkommen, sind aber empfänglich für neue Werbeformen.
Laut einer Studie der Hochschule Düsseldorf in Kooperation mit der Digitalstrategieberatung whylder sind 65,7 Prozent der deutschen Snapchat-User zwischen 14 und 19 Jahren alt, der Anteil der User über 30 Jahren ist mit 2,5 Prozent verschwindend gering. Dem gegenüber steht eine Prognose des US-Marktforschers eMarketer, laut der das Wachstum von Snapchat künftig vor allem vom Neueinstieg älterer Nutzer getrieben wird, Ende des Jahres soll der Anteil der 45- bis 54-Jährigen auf 6,4 Prozent steigen. Das sind zwar einerseits gute Nachrichten, weil mehr User auch mehr Umsatz bedeuten – zugleich stellt sich aber die Frage, wie die Kinder der Generation Z reagieren, wenn sie auf Snapchat ihren Eltern begegnen.
Werbemöglichkeiten auf Snapchat Im Storys-Bereich auf Snapchat werden an oberster Stelle die Storys von Freunden angezeigt. Darunter, teils nicht mehr im sichtbaren Bereich, befinden sich die News aus dem Discover-Bereich, in den sich Unternehmen anfangs um 750.000 US-Dollar pro Tag einkaufen konnten. Bislang wurde dies aber nur Werbetreibenden in den USA ermöglicht. Der Discover-Bereich beinhaltet Channels von Unternehmen, in denen diese ihre Inhalte anbieten. Bereits zum Start konnte Snapchat mit Hochkarätern der Medienbranche wie CNN, ESPN und Comedy Central kooperieren. Neben Videos nutzen diese Medien auch Text-Bild-Kombinationen, GIFs oder Animationen zur Darstellung der Inhalte. Weiters werden Snap-Ads (ähnlich einer Unterbrecherwerbung), Geofilter, Sponsored Lenses (Gesichtsfilter), Unlock Filters und Unlock Codes als Werbeformen angeboten. Der Preis der jeweiligen Werbeform richtet sich nach Datum, Dauer und Reichweite. Detaillierte Preisangaben kommuniziert Snapchat nicht. Sponsored Lenses für eine Tag dürften sich im Bereich zwischen 450.000 und 700.000 US-Dollar bewegen, schätzen Experten. Geofilter starten je nach Verbreitungsgebiet bei fünf US-Dollar und können bis zu eine Million kosten. Snap-Ads starten bei rund 10.000 US-Dollar pro Monat.