Das Wettrennen um Wellness
 

Das Wettrennen um Wellness

Seb Braun/www.sebbraun.co.uk

Diese Woche geht's bei Walter's Weekly um den Gesundheitstrend und wie die Digitalwirtschaft diesen erkannt hat.

Jeder sein eigener Gesundheitspapst

Unter jungen Kreativen ist, so scheint‘s, eine Umwertung etablierter Werte im Gange. Der Lebensstil aus der TV-Erfolgsserie „Mad Men“ hat seine Verlockung in der Werbebranche verloren. Sich für beruflichen Aufstieg total zu verausgaben, ist nicht länger attraktiv. Sich für einen Job so engagieren, dass man körperlich oder seelisch krank wird, hat als Statussymbol ausgedient.

Stattdessen ist nun eine Art Wettrennen um Wellness im Gange. Die Gesundheitsversicherung Bupa hat Angestellte über deren dringlichstes Wohlfühlziel befragt. Simples Ergebnis: mehr Schlaf kriegen. Einige Unternehmen reagieren ganz außerordentlich auf diese Entwicklung. Die Markenberatungsagentur VaynerMedia etwa behauptet kühn: “Uns ist das Wohlergehen der Angestellten wichtiger als der Profit“ – weshalb sie einen „chief heart officer“ installiert haben.

Gleichzeitig geht große Karriereangst um, angefeuert durch grenzenlosen Wettbewerb. Die Burnout-Raten kommen keineswegs herunter.

Gesundheitsbewusstsein oder Statusstress?

Den Trend zu bewusster Gesundheit kann man aus zwei Perspektiven betrachten: Entweder ist Gesundheit/gut aussehen Teil des Sozialwettbewerbs geworden (auch für Männer). Oder es findet ein echtes Umdenken statt. Schwer zu sagen, was die wahre Motivation ist. Jedenfalls haben das Net mit seiner Informationsfülle plus eine Menge von Gesundheit-messenden Digitalgeräten den Wunsch befördert, sich für die eigene Befindlichkeit verantwortlicher zu fühlen.

Hier geht eine krasse Trennlinie durch die zeitgenössische Gesellschaft: Während die neue Elite geradezu besessen ist von Fitness und Wohlbefinden, sackt eine nicht unerhebliche Bevölkerungsgruppe ab, säuft und frisst sich schier zu Tode, leidet unter grässlicher Fettleibigkeit und in der Folge vielen Krankheiten, vom zerstörten Selbstbewusstsein ganz zu schweigen.

Jedenfalls hat die Digitalwirtschaft diese Entwicklung erkannt und wartet mit einer Fülle neuer Produkte auf, die alle mehr Autonomie in Fragen Körper und Gesundheit versprechen: Für Frauen mit Nachwuchssorgen gibt es ein neues tragbares Gerät von der Firma Ava. Wer neue Brillen braucht, kann mit Hilfe seines Schlaufons einen Sehtest durchführen. Für Nahrungsmittelbesorgte soll es demnächst eine App geben, mit der man die unverständlichen Inhaltsinformationen auf Labels in anschauliche Grafiken umwandeln kann. Und für psychologisch Geplagte gibt es Digitalhilfen in Hülle und Fülle.

Ein starker Trend trotz Kritik

Ständig kommen neue Moden auf, etwa „Clean Eating“, das nicht bloß einschlägige Kochbücher hervorbringt, sondern auch eine Menge Apps. Gleichzeitig wird reichlich Unsinn promotet. Die Bluttestbesessenen werden weiterhin zum Arzt gehen müssen, nachdem das versprochene Produkt von Theranos nicht recht hinhaut. Und wer ein 99-Dollar-Gerät braucht, das ihm sagt, er habe zu wenig Wasser getrunken, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Fitness-Armbänder tragen mittlerweile vier Millionen Briten – eine Zahl, die sich in bloß 12 Monaten verdoppelt hat. Doch populäre Wearables wie Fitbit oder Jawbone versprechen mehr, als sie halten können.

Der nächste Hit könnten Geräte sein, die den Schweiß analysieren. Jedenfalls gibt es Prognosen, denen zufolge der Markt für medizinische Messgeräte, die man auf sich herumträgt, enorm wachsen wird – selbst wenn nicht klar ist, ob übermäßiges Besorgtsein und die Gefahr von falsch positiven Tests überhaupt die Gesundheit befördert.

Was wird sich halten?

Glücklichsein lässt sich nicht erzwingen, besessene Konzentration auf das eigene Wohlbefinden hat leicht den gegenteiligen Effekt. Weder als Moral noch als Ideologie wird sich Wellness halten können; aber die Bereitschaft, die eigene Gesundheit bewusst zu befördern, wird zunehmen. Und indirekt branchenverändernde Auswirkungen haben; in Großbritannien etwa fällt der Umsatz von Margarine und Würstel, während die Nachfrage bei Avocados, Nüssen und Beeren enorm zulegt.

Dass der Super Food-Trend auch von unrealistischen Wünschen um das eigene Erscheinungsbild getragen wird, ist klar. Die Wellness-Anhänger müssen achtgeben, dass ihr Engagement nicht eine neue Quelle für Stress wird…

[Walter Braun]
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