Christian Kern: Ein Kanzler für die Medien?
 

Christian Kern: Ein Kanzler für die Medien?

Screenshot ORF TVthek
Von Christian Kern ist in Sachen Medienpolitik ein anderer Stil als von seinem Vorgänger Werner Faymann zu erwarten.
Von Christian Kern ist in Sachen Medienpolitik ein anderer Stil als von seinem Vorgänger Werner Faymann zu erwarten.

Christian Kern ist der erste Regierungschef, der Journalist war. Er hat ein modernes Medienverständnis und kennt den digitalen Wandel.

Dieses Porträt erschien auch in der HORIZONT-Printausgabe 20/2016 vom 20. Mai. Hier geht's zum Abo.

Der Anzug saß wie immer perfekt, die dunkle Krawatte auch. Und sogar die Frage, ob es ihn störe, mit Humphrey Bogart verglichen zu werden, brachte Christian Kern nicht aus der makellosen Fassung. "Ich hätte gerne seine Nase, aber sonst?", antwortete er und erntete viel Gelächter. Die Coolness muss man einmal haben. Ansonsten bemühte er sich, in seiner ersten Pressekonferenz am Dienstag Aufbruchsstimmung zu vermitteln.

Kern kann gut mit Medien, die Kameras mögen ihn. Er ist der erste Bundeskanzler, der selbst als Journalist gearbeitet hat, bevor er in der Wirtschaft Karriere machte. Ein Quereinsteiger, der nie zuvor ein politisches Amt bekleidete, aber als Mitglied des ORF-Kuratoriums politische Luft geschnuppert hat. Die Presse taufte ihn kurzerhand "Medienkanzler". Auf den 50-jährigen Manager, der sich selbst als Medien-Junkie bezeichnet, wartet eine lange Liste an Herausforderungen. In der Medienpolitik – für die sein neuer Kulturminister Thomas Drozda zuständig sein wird – fordern Branchenvertreter einen Neuanfang. Von Kern ist ein anderer Stil als von seinem Vorgänger Werner Faymann zu erwarten, der die Presseförderung kürzte und dem Kritiker nachsagen, dass er lieber Inserate schaltete statt Reformen anzudenken. Ob Kern es anders machen wird? Jedenfalls scheint er ein anderes Verständnis von Medien mitzubringen, das ihm dabei helfen könnte, die SPÖ aus der Krise zu führen.

Kommunikation: Chefsache

Kern wurde am 4. Jänner 1966 in Wien Simmering geboren, sein Vater war Elektroinstallateur, die Mutter Sekretärin. Er studierte Publizistik, engagierte sich im Verband sozialistischer Studenten und war immer schon ein medienaffiner Mensch.

"Kaum etwas ist für zweifelnde Politiker quälender als die Minuten nach einer entscheidenden Fernsehdiskussion, in denen das Autotelefon auf dem Heimweg vom Küniglberg einfach nicht klingeln will und der zustimmende und ermunternde Anruf ausbleibt", schrieb Kern im Vorwort seiner Diplomarbeit über die Polit-Berichterstattung österreichischer Tageszeitungen. Nachdem er zwei Jahre für das Wirtschaftsmagazin "Option" geschrieben hatte, wurde er Pressesprecher und Büroleiter von SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka. Von 1996 bis 2000 saß er im ORF-Kuratorium, wo er gegen eine unabhängige Medienbehörde – die heutige Komm­Austria – mobil machte. Weggefährten von damals – Alexander Wrabetz, Josef Kalina oder Karl Krammer – sind heute noch Vertraute. Stefan Pöttler folgte Kern, der 1997 zum Verbund gewechselt war, später zu den ÖBB. Die beiden sprachen viel darüber, welche Auswirkungen sein Handeln hat oder haben soll.

Kommunikation war für Kern immer Chefsache, ein essenzielles Managementtool. Als Mitautor des Buches "Politik am Gängelband" strich er auch die Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung für die Politik heraus: Die "Medientauglichkeit" eines Kandidaten habe größeren Einfluss auf die Linie eines Blattes als politisch-ideologische Motive. Zugleich betonte er in einem Interview mit dem "Industriemagazin", dass Menschen Werte wollen, einen Narrativ. In der Flüchtlingskrise trat die ÖBB konstruktiv und menschenfreundlich in Erscheinung – ganz im Einklang mit der SPÖ-Parteilinie.

Journalisten als Sparringpartner

Während Faymann in den sozialen Medien durch falsche Facebook-Fans auffiel, bewegt sich Kern ganz natürlich auf den neuen Kanälen. Als noch über Faymanns Nachfolger spekuliert wurde, postete er auf Facebook Fotos vom Muse-Konzert aus der Wiener Stadthalle. Bei den ÖBB nutzte er YouTube, um sich an die Mitarbeiter zu wenden. Mithilfe von Reformen und offener, aktiver Kommunikation gelang es ihm ab 2010, das angekratzte Image des Konzerns wieder aufzupolieren.

"Unser Prinzip war immer: wehren und erklären", sagt Kristin Hanusch-Linser, langjährige Kommunikations- und Werbechefin an Kerns Seite. "Gegen plumpes Bashing oder falsche Berichterstattung haben wir uns klar positioniert." Kern war einer, der den Medien auf Augenhöhe begegnete. "Er hat Journalisten immer auch als Sparringpartner gesehen", sagt Hanusch-Linser. Ihren ehemaligen Chef beschreibt sie als gewissenhaften ­Arbeiter mit hohem Verantwortungsbewusstsein. Als einen, der auch von seinem Team absolute Präzision und Professionalität verlangt, und jemanden, der um die Bedeutung der ­Medien wisse. "Ich glaube, er wird sie integrieren, und zwar in die verantwortungsvolle Mitgestaltung des gesellschaftlichen Wandels Richtung Digitalisierung."

Diese Digitalisierung, die Kern viel beschäftigt hat – seine zweite Frau Evelyn Steinberger-Kern ist in der Start-up-Szene aktiv – destrukturiert nicht nur herkömmliche Geschäftsmodelle von Unternehmen: Sie hat auch die Politik verändert. Die gesellschaftlich verankerte Parteiendemokratie scheint zu zerbröseln, und wer es nicht schafft, alle Kanäle zeitgemäß zu bedienen, um an Wähler heranzukommen, hat es zunehmend schwer. Medienkompetenz sei eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg, sagt der Politikwissenschaftler Anton Pelinka. Eine Variante sei es dabei, in eine Art intellektuellen Diskurs mit den Medien über gesellschaftliche Entwicklungen und ­Tendenzen einzutreten. Pelinka: "Fay­mann hat das nie geschafft."

Kern, der in Interviews auch einmal Habermas zitiert oder Platons Höhlengleichnis bemüht, könnte diese Lücke füllen. Management sei ein Kreativjob, der auf Wissen beruht, lautete sein Stehsatz gegenüber jungen Mitarbeitern. Eines der letzten Bücher, das ihn nachhaltig beeindruckte, war die Biographie von Gert Voss.

Wie er es in der Medienpolitik anlegen wird? Im ORF steht die Bestellung des Generaldirektors für die nächste Geschäftsperiode bevor, zu Erwartungen an Kern und sein Team wollte sich dort niemand äußern. Die Privatsender fordern moderne und faire Rahmenbedingungen für den Rundfunkmarkt, und für den ORF eine klare Definition des Programmauftrags sowie eine Einschränkung von dessen Vermarktungsmöglichkeiten. "Die zur Finanzierung dieser öffentlich-rechtlichen Aufgaben und Inhalte notwendigen Mittel müssen über eine nachhaltige Finanzierungsbasis, zum Beispiel eine Haushaltsabgabe, abgesichert werden", sagt Corinna Drumm, Geschäftsführerin des VÖP. Ein nachhaltig abgesichertes, pluralistisches Mediensystem müsse Qualitätsjournalismus auf einer wirtschaftlich erfolgreichen Basis sicherstellen.

Über Finanzierung reden

Auch der VÖZ fordert eine neue Gesamtstrategie. "Durch die Digitalisierung kommt es zu einer Schieflage in vielen Bereichen, quer über alle Mediengattungen hinweg", sagt Geschäftsführer Gerald Grünberger. Es müsse eine klare Aufgabenverteilung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien geben. "Hier herrscht zurzeit beim ORF wieder mehr denn je die Haltung 'anything goes'. Konsequenterweise wird man über den Auftrag und seine Finanzierung beziehungsweise die Gesamtfinanzierung des österreichischen Mediensystems sprechen müssen."

Kern gilt als umgänglich und guter Zuhörer, der in Sitzungen auch ungehalten werden kann, als selbstbewusst und zielorientiert. Bei den Mitarbeitern der ÖBB sei er immer beliebt gewesen. Um auch die Stimmen der Wähler für sich zu gewinnen, wird der Läufer, Mountainbiker und Skifahrer eine gute Kondition brauchen. Auch der Fußball dient dem Kuratoriumsmitglied von Austria Wien als Inspiration. Bei möglichen Neuwahlen will er jedenfalls als Erster durchs Ziel gehen.

Privat fährt Kern zwar einen Mini, hat aber große Pläne. Er hat sich Innovation auf die Fahnen geschrieben – und offenbar begriffen, was digitale Veränderung bedeutet. Für den Chef einer Arbeiterpartei wäre das besonders wichtig.
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