Werbung im Wahlkampf: Was wirklich wirkte
 

Werbung im Wahlkampf: Was wirklich wirkte

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Das große Fazit der Werbechefs und Wahlkampfleiter. Gegenüber HORIZONT erklären sie, welche Maßnahmen punkteten und was sie rückblickend verändern würden.

Dies ist die Coverstory aus der HORIZONT-Ausgabe Nummer 42. Noch kein Abo? Hier klicken!

Der Wahlkampf ist geschlagen, die Nationalratswahl 2017 entschieden. Vor allem zugunsten der Liste Kurz/ÖVP, die die SPÖ auf den zweiten Platz verdrängte. Dahinter folgen die FPÖ, Neos und die Liste Pilz, die ihr Debüt im Nationalrat gibt. Die Grünen haben zum ersten Mal seit über 30 Jahren den Einzug ins Parlament verpasst.

Keine Wahl ohne Wahlkampagne: Ob gemeinsam mit einer Agentur (ÖVP, SPÖ, Neos, oder Die Grünen) oder inhouse umgesetzt (FPÖ und Liste Pilz). Die Kampagnen waren österreichweit wochenlang allgegenwärtig. HORIZONT sprach mit den Wahlkampagnenleitern der Parteien und den Verantwortlichen der jeweiligen Kreativagenturen. Über ihr Fazit zum Wahlkampf, was gut funktioniert hat und was sie rückblickend anders machen würden.

"Positiver Spirit als Kontrast"

Die ÖVP ist neuer Spitzenreiter im Parlament. Es sei gelungen, eine echte Bewegung zu schaffen – von Menschen, die Veränderung in diesem Land wollen. So lautet das Resümee von Philipp Maderthaner, Gründer und Geschäftsführer Campaigning Bureau und Verantwortlicher für die Kampagne rund um Sebastian Kurz. Als Kreativagentur fungierte Blink.

Der positive Kampagnenspirit sei laut Maderthaner klar im Kontrast zu den anderen gestanden, vermittelt durch eine offensive Bewegtbildstrategie mit 200 Videos und einer Reichweite von rund sechs Millionen Kontakten. Zudem nutzte man "Empowerment"-Tools für Unterstützer, etwa die Team Kurz App, über welche diese an Challenges teilnahmen. Umfassende datengetriebene Direktkommunikation habe in der Schlussphase einen entscheidenden Vorteil geboten. Inhaltlich setzte die Neue Volkspartei nicht nur auf den neuen Namen, sondern auf die Person des Spitzenkandidaten und, so Maderthaner, "auf die Bewegung selbst, also die Menschen, die diese ausmachen. Sie spielten über den gesamten Zeitraum von TV bis Print, online und offline eine gewichtige Rolle." Ob kommunikativ etwas nicht funktioniert habe? "Im Nachhinein findet man im Detail immer vieles, das man vielleicht anders gemacht hätte", so Maderthaner "Diese Analysen finden in diesen Tagen statt."

,Weniger Videos produzieren‘

Mit dem Claim "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht" habe die SPÖ den Wechsel zu sozialen Themen geschafft, ist sich SPÖ-Kampagnenleiter Johannes Vetter sicher. "In der zweiten Phase haben wir Christian Kern, den echten und authentischen Menschen, in den Mittelpunkt gesetzt. Gerade das Plakat im Kreisky-Zimmer mit der kleinen Livi hat enorm positive Resonanz hervorgerufen." Zudem habe man laut Vetter gemerkt, dass Social Media im Media-Mix noch wichtiger geworden sei. "Was ich etwas anders machen würde: weniger Videos produzieren, dafür mit mehr Druck über die eigenen Kanäle spielen."

Michael Kapfer, CEO der Werbeagentur GGK MullenLowe, die die Wahlkampagne der SPÖ kreativ verantwortete, verortet auch einen gewaltigen Unterschied zu Produktkampagnen: "Bei Wahlkampagnen versucht man, eine verkürzte Botschaft verständlich zu machen. Ich glaube, das haben wir geschafft." Man könne mit einer Wahlkampagne Untentschlossene überzeugen, "aber jemanden, der von einer Idee bereits überzeugt ist, wird man mit Wahlwerbung nicht umdrehen können." Durch das Thema Silberstein sei es schwer gewesen, mit Themen durchzudringen.

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Nachdem der erste Claim „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“ „absichtlich von den Medien zweckentfremdet“ worden sei, sei die zweite Botschaft „Veränderung mit Verantwortung“ nötig gewesen; „ein klassischer Claim, der die Inhalte und die Person ­Christian Kern einprägsam zusammenfasste“.

Was Kapfer leid tue: „Dass ein Kozept von uns aus Zeitgründen nicht mehr umgesetzt wurde: Wie man FPÖ-Wähler zurück zur SPÖ holt. Es wäre um ein Eingeständnis der Partei gegangen; ,Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht, aber wir hören euch zu und haben ein Angebot für euch.‘ Damit hätte man früher beginnen müssen, um es lange genug auszuformulieren.“ Ob es etwas an der Kampagne gebe, dass er heute nicht mehr machen würde? „Das ,House of Cards‘-Video würde ich wirklich nicht nochmal machen.“ Es sei der Idee geschuldet gewesen, auf Facebook möglichst viele Seher zu erreichen: „Das Schielen nach Klickraten erfordert ja spektakuläre Umsetzungen.“

Inhouse-Umsetzung bei FPÖ

Die FPÖ schien in diesem Wahlkampf auf eine mehr humorvolle Note als sonst zu setzen (siehe etwa das „Deix“-Plakat oder die Videoreihe „Die Hubers“). Laut Focus investierte die Partei vorwiegend in Print, gefolgt von Außenwerbung, TV, Online und Radio. HORIZONT hat bei der Partei um ein Fazit zum Wahlkampf angefragt, eine Antwort blieb bis Redaktionsschluss ausständig. Die kreative und strategische Umsetzung der Kampagnen erfolgte parteiintern.

,Wesentlich, früh zu beginnen‘

Wieder mit im Parlament sitzen die Neos, die für den Wahlkampf erstmals mit der Werbeagentur Dirnberger de Felice Grüber zusammenarbeiteten. Geht es nach Geschäftsführer Peter Dirnberger, könne die Zusammenarbeit gerne weitergehen: „Erstens, weil die Neos ein fast einzigartiges Angebot an die Wähler haben, welches für Kommunikatoren eine ideale Voraussetzung ist. Aber auch, weil uns die Arbeit Freude gemacht hat“. Einen „positiven“ Wahlkampf zu führen, hielt er für eine gute Sache: „Lieber die eigenen Ideen und Anliegen in den Vordergrund zu stellen, als sich über die Herabwürdigung der Mitbewerber zu definieren.“

Man lerne zwar stetig dazu und könne einzelne Dinge verändern, „doch im beispiellosen Trommelhagel dieser Wahl, in dem es vor allem für kleinere Parteien äußerst schwierig war“, hätten die Neos Kontur bewahrt. Zur polarisierenden Spiegelschrift auf den Plakatsujets meint er: „Neos sind eine Bewegung, die sich freier bewegen kann als alle anderen Mitbewerber.“ Sie sei weder Kammern noch Bünden verpflichtet, könne sich so auf die Seite der Menschen stellen und aus deren Perspektive Problemlösungen anbieten. „Das haben wir mittels Spiegelschrift dramatisiert und somit zusätzliche Aufmerksamkeit und Diskussion provoziert.“

Für Nick Donig, Generalsekretär und Wahlkampfleiter der Neos, sei wesentlich gewesen, „ganz früh mit der Wahlkampagne zu beginnen. Ich glaube, die Weichen für den Wahlausgang wurden bereits im Mai, Juni gestellt.“ Inhaltlich sei man konkreter als 2013 gewesen, als die Botschaft „Wir sind neu und anders“ zentral war. Außerdem wurden mehr Themen angesprochen als Bildung und Anti-Korruption. Das irritierende Element der Spiegelschrift zu bringen sei richtig gewesen. „Die Zuspitzung über dieses Element wäre uns aber nicht ganz gelungen, weshalb wir in der vierten Welle die Spiegelschrift entfernt und die Sujets mit den neuen Botschaften ,Freiheit statt Filz‘ und ,Tempo statt Taktik‘ versehen haben. Dann kam das Thema Silberstein auf. Und nachdem wir immer mit Inhalten in der Kampagne gearbeitet haben, ging es in unserer finalen Welle um ,Ideen statt Intrigen“. Heute würde er im Mediamix etwas weniger Out of Home gehen, stattdessen mehr ins Digitale „und Print würden wir uns genauer anschauen“, sagt Donig.

Ein Plakat mit Sticker

Dass man es auch mit geringem Wahlbudget in den Nationalrat schaffen kann, hat die Liste Pilz bewiesen. Die Parteigründung erfolgte zwölf Wochen vor der Wahl. „Wir hatten keine Werbeagentur. Zunächst hatten wir im Kommunikationsbereich nur einen medial etablierten Peter Pilz, eine Person für klassische PR und Medienarbeit und einen Onlineverantwortlichen mit kleinem Team“, erklärt Christian Minutilli, Leitung Kommunikation und Presse sowie Kandidatencoaching der Liste Pilz, die derzeit nach einem neuen Namen sucht. Es sei ein Erfolg, dass nicht nur Peter Pilz, sondern auch die bislang medial unbekannten Kandidaten in dieser kurzen Zeit österreichweit sichtbar gemacht werden konnten.

Der Wahlkampf hob sich vor allem durch ihre Plakatkampagne ab: ein Plakat und die zweite Welle dasselbe Plakat mit Sticker. „Und wir hatten auch Luftballons“, fügt Minutilli hinzu. „Vielleicht war unser Wahlkampf historisch einzigartig. Neben Onlineaktivitäten inklusive Videos haben wir etwa mit Flyern nur vereinzelt Wahlwerbung gemacht – und waren am Ende trotzdem erfolgreich. Am einzigen Wahlplakat, das an sich symbolisierte, dass wir einen sparsamen Wahlkampf ohne Steuergeld führen, ist eine Hauptbotschaft bezogen auf Peter Pilz festgehalten: 100 Prozent Kontrolle“. Zusätzlich zu Pilz habe man auch einzelne Kandidaten und deren Themen gezielt nach außen getragen, via Print, TV und Online. Es sei zwar noch zu früh für ein abschließendes Kampagnenfazit, Luft nach oben gebe es aber immer, so Minutilli: „Wichtig war, dass Peter Pilz eine klare Vision und ein Ziel hat. Gewisse Wählerschichten haben wir noch nicht erreicht. Das heißt, diese Bewegung hat ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.“

,Für politische Projekte offen‘

Erstmals seit über 30 Jahren sind Die Grünen nicht im Nationalrat vertreten. „Die Ausgangslage dieser Kampagne war sehr schwierig, da Die Grünen zum Start des Wahlkampfes bereits eine sehr herausfordernde Zeit hinter sich hatten. Der Rauswurf der Jungen Grünen, der Rücktritt von Eva Glawischnig und die Abspaltung von Peter Pilz haben die Kampagnenfähigkeit nicht gerade erhöht“, resümiert Josef Koinig, Geschäftsführer von Jung von Matt/Donau; jener Agentur, die bereits seit 2012 für die Werbung und auch die österreichweite Corporate Identity der Partei verantwortlich zeichnet.

„Selbstverständlich sind wir nun klüger und würden Dinge anders machen“, so Koinig. So hätte man „im Finale des Wahlkampfes retrospektiv viel schärfer die SPÖ attackieren und klar kommunizieren müssen, dass die Möglicheit besteht, dass die Grünen aus dem Parlament fliegen. Das ist aus heutiger Sicht leicht zu behaupten, wurde damals aber anders entschieden.“ Schwerpunkt der Kampagne sei gewesen, „Grüne zu erklären“. Mit „Das ist Grün“ als Klammer habe man die wichtigen Themen der Partei wie Menschenrechte, Solidarität, Umweltschutz, Europa, Zusammenhalt und Bildung zusammengefasst.

Zur Werbung für Polit-Parteien meint Koinig: „Wirtschaftskommunikation ist ausschließlich auf den Vorteil des eigenen Produkts oder der eigenen Dienstleistung fokussiert. Politik konzentriert sich auch darauf, die Schwächen des Gegners offensiv anzusprechen. In der üblichen Wirtschaftskommunikation würde man nie so direkt den Mitbewerb angreifen“, merkt JvM-Geschäftsführer ­Andreas Putz an.

Die Agentur würde für politische Projekte auch künftig offen sein. Man müsse Putz zufolge dann im Einzelfall prüfen, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll sei.

Im Vergleich zu Deutschland

Angesprochen auf einen generellen Wahlkampagnenvergleich zwischen Österreich und den deutschen Bundestagswahlen meint Michael Kapfer: „Der deutsche Wahlkampf war extrem langweilig. Dadurch haben es die Parteien aber vielleicht geschafft, mehr Themen durchzubringen. Abgesehen davon sind aber die politische Lage und die Player nicht vergleichbar“.

Laut Peter Dirnberger scheint die moralische Schwelle in Deutschland zu hoch zu liegen, „um über gewisse Geschmacksgrenzen hinaus zu kommunizieren“. Schmutzkampagnen und Untergriffe seien eher selten vorzufinden, auch in sprachlicher Hinsicht gebe es einen Niveau-Unterschied, wie Dirnberger festhält: „Seriosität ist in der politischen Kommunikation dort wesentlich für die Glaubwüridgkeit der Partei.“ 



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