,So etwas machen wir einfach nicht’
 

,So etwas machen wir einfach nicht’

Rainer Reichl im Interview - Er gründete vor 25 Jahren die Agentur Reichl und Partner. Jahrelang wurde er von der Wiener Agenturszene belächelt. Heute zählt seine Agentur zu den größten des Landes und Reichl zu den kritischsten Geistern seiner Zunft

HORIZONT: Seit Monaten ertönt auf Ö3 ein Werbespot für Reichl und Partner. Wie kommt eine Werbeagentur auf die absonderliche Idee, Werbung für sich zu machen, und zwar in einem Massenmedium? Noch nie etwas von Streuverlust gehört?

Rainer Reichl: (lacht) Für uns ist das ein Streugewinn! Das hängt ja immer davon ab, wie man die Zielgruppe definiert. Für uns sind das nicht nur unsere Kunden und deren Mitarbeiter, sondern auch unsere eigenen Mitarbeiter – bestehende und künftige. Unsere Bewerbungen haben sich verdoppelt, die Klickrate auf unserer Website hat sich verachtfacht und es haben uns neue ­Unternehmen – ganz große und ganz kleine – eingeladen, die Agentur zu präsentieren. In Summe hat sich das also voll ausgezahlt. Jetzt machen wir Pause über den Sommer, im Herbst gibt es dann vermutlich ein Follow-up.

HORIZONT: Wo lief die Kampagne noch, außer bei Ö3?

Reichl: In Magazinen der Verlagsgruppe News und bei Weekend, es gab Onlinewerbung, und in Oberösterreich hatten wir zusätzlich eine Plakat- und City-Light-Kampagne. Aber ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich wollte selbst wissen, was passiert, wenn man das tut. Und jetzt bin ich sehr froh darüber. Es ist eine tolle Erfahrung, wenn man sieht, wie die unterschiedlichen Aktivitäten ineinandergreifen. Neue Ideen sollte man zuerst testen, bevor man sie dem Kunden empfiehlt.

HORIZONT: Reichl und Partner ist eine Agentur, über die man in der Fachöffentlichkeit recht wenig weiß. Wie ist eigentlich Ihre Positionierung?

Reichl: Es stimmt, wir fliegen ganz ­bewusst unter dem Radar. Unsere Positionierung? Wir sind seit 1989 die erste ganzheitlich arbeitende Full-Service-Kommunikationsagentur im deutschsprachigen Raum. Nachzulesen übrigens auch auf Wikipedia (lacht)! Und wir waren immer eine unternehmerisch denkende Agentur, die sich in den Kunden und sein Geschäft hineinversetzen kann. Was uns darüber hinaus auszeichnet, ist Kontinuität. Honda wird bei uns seit zwanzig Jahren vom gleichen Beratungsteam betreut. Wir haben alle Mitarbeiter angestellt, keine Freien. ­Damit bieten wir Diskretion und schaffen den Aufbau wertvollen Wissens. Und wir sind konservativ, was widersprüchlich klingt, weil ich selbst so ein Revoluzzer bin.

HORIZONT: Das ganzheitliche Arbeiten nehmen viele für sich Anspruch. Was machen sie im Alltag anders?

Reichl: Wir sind in jeder Hinsicht anders. Zum Beispiel in der Frage, wie wir mit Praktikanten umgehen. Pro Jahr bewerben sich knapp 500 Praktikanten, die wir nicht einfach abfertigen, sondern wir laden sie zu Workshops ein, aus denen 20 Praktikanten ausgewählt werden. Die kümmern sich aber nicht um die Aktenablage, sondern arbeiten an Projekten mit. Zusätzlich gibt es jedes Jahr ein eigenes Praktikantenprojekt – aus dem wir als Agentur immer auch viele Erkenntnisse mitnehmen, etwa im Bereich der Organisation von Teams.

HORIZONT: Sie haben derzeit 160 Mitarbeiter an den Standorten Linz, Wien, Stuttgart und Zürich. Mit sechs Units ­decken Sie Werbung, Media, PR, Internet, Social Media und Event ab …

Reichl: Wobei wir bei Social Media und Events Partnerschaften eingegangen sind. Wichtig ist: Jede Firma ist eine eigene Gesellschaft mit eigenem Management. Es wäre also ein totaler Irrglaube, dass das Unternehmen nur mehr von mir abhängig sei. Und wir konzentrieren uns auf den deutschsprachigen Raum, wobei wir uns jetzt eine Kuriosität erlaubt haben, nämlich eine kleine Dependance in Genf. Und wir haben auch schon einen ersten großen Kunden im Bereich der Finanzdienstleistungen für die Schweiz und Österreich gewonnen. Stolz sind wir auch über die Erfolge in Deutschland. Seit eineinhalb Jahren arbeiten wir für die DAB Bank in Deutschland. Das Billing ist beachtlich und liegt weit über 20 Millionen Euro. Reichl und Partner Wien ist für die Positionierung und Kreativstrategie dieser UniCredit-Tochter verantwortlich.

HORIZONT: Sehen Sie eine Grenze für eine sinnvolle Größe dieser Agentur?

Reichl: Ich glaube nicht an das ewige Wachstum, aber wichtig ist, dass unsere Zellen nie größer als zwölf bis maximal 16 Personen sind, dadurch bleiben wir beweglich und können unsere Kunden individuell betreuen und gleichzeitig komplexe Herausforderungen angehen.

HORIZONT: Als eine der ganz wenigen Agenturen bieten Sie noch Media­planung und -Einkauf an. Wie erleben Sie dieses Business?

Reichl: Da passiert durch die Digitalisierung sehr viel, und alle Mediaagen­turen – auch wir – haben die Herausforderung, dass die Mitarbeiter fast immer aus dem klassischen Geschäft kommen und das digitale Business nicht so richtig verstehen. Wir haben uns vor einem halben Jahr einen Coach genommen, um das anzugehen. Ziel ist, dass der Kunde letztlich ein Reporting-Sheet ­bekommt, wo alle Medienkanäle dargestellt werden. Zusätzlich haben wir die Mediaplanung in die Kreativagentur ­integriert. Das können wir aber auch nur, weil wir die kleinste Mediaagentur des Landes sind, die großen können das nicht mehr. Was dort passiert, ist teilweise schockierend.

HORIZONT: Was meinen Sie?

Reichl: Die großen Agenturen geben vor, dass sie deshalb so erfolgreich sind, weil sie für den Kunden perfekt einkaufen – das glaube ich nicht. Ich habe mich mit diesem Thema wirklich intensiv befasst und schaue mir seit 20 Jahren die Bilanzen so mancher Media-agentur  an, und die außergewöhnlichen Erträge sind gewaltig gestiegen. Das heißt: Irgendwoher verdienen die Agenturen deutlich mehr als die wenigen Prozent, die sie vom Kunden als Honorar offen ausweisen. Dafür bezahlen manche Medien oder deren Vermarkter – aber eben über den Umweg von Consultingverträgen oder irgendwelchen Marktstudien. Das ist aber kein österreichisches Problem, sondern ein europaweites. Wir audi­tieren ja auch oft Mediapläne, und da lässt sich manchmal recht deutlich eine eindeutige Schlagseite in Richtung ­einzelner Vermarkter feststellen. Mich wundert ja, dass sich die Kunden das ­gefallen lassen, denn rein rechnerisch würde der optimale Mediaplan oft ­anders ausschauen.

HORIZONT: Wenn Sie Mediapläne auditieren und selbst Mediaagentur sind, ist das doch ein Interessenkonflikt …

Reichl: Nein, wir haben einen guten Ruf in diesem Bereich und bieten das an. Es geht den Kunden auch nicht darum, die Agentur zu wechseln – oft sind die Kunden ohnehin international an eine Agentur gebunden. Es geht ihnen eher darum, eine zweite Meinung einzu­holen, und dabei stehen gar nicht so die niedrigsten Preise im Vordergrund, sondern, ob die Maßnahmen effektiv sind. Die Medien stehen oft so mit dem Rücken zur Wand, dass sie ohnehin extrem entgegenkommend sind.

HORIZONT: Wie halten Sie es mit Agenturbonifikationen durch Medien?

Reichl: So etwas machen wir einfach nicht. Wir haben eine wohltätige Stiftung namens Stones for Life gegründet – und jeden, der uns irgendwelche An­gebote macht, die wir nicht annehmen können, laden wir ein, die Stiftung zu unterstützen. Und manche machen es auch tatsächlich. Wir sind sehr transparent, was die Usancen betrifft, was aber auch klar ist, weil ich selbst dafür hafte. Außerdem geht es auch um eine Verantwortung für die Medienlandschaft und letztlich für unsere Gesellschaft. Ich habe nichts gegen internationale Medien, aber wir brauchen eine gesunde heimische Medienwirtschaft. Und so haben wir eine enge Kooperation mit ­allen Verlagen und Radios unter dem Motto „Wir sitzen alle im gleichen Boot“. Gemeinsam können wir Schwung in den Markt bringen. Wir müssen dem Kunden die österreichische Medienlandschaft näherbringen – das ist unsere Aufgabe. Wenn ein Kunde etwa plötzlich sagt, er will nur online werben, dann werden wir versuchen, ihm das auszureden, denn nur mit Online kann man einfach nichts bewegen. Umgekehrt müssen sich aber auch die Medien am Riemen reißen und innovativer werden.

HORIZONT: Wie wichtig ist Media für die Profitabilität der Agentur?

Reichl: Eher unbedeutend. Die größte Wertschöpfung kommt über die klassische Beratung der Kunden. Leider wird diese Beratungsqualität im Mediabusiness nicht honoriert. Allerdings habe ich das Gefühl, dass es hier bei den Kunden zunehmend zu einem Umdenken in Richtung Qualität kommt.

HORIZONT: Wie stehen Sie zum Thema Pitch bei öffentlichen Vergaben?

Reichl: Das tun wir uns erst gar nicht an. Einmal habe ich bei einer öffentlichen Ausschreibung mitgemacht, das war Wien Energie, und das haben wir auch gewonnen. Aber da haben wir keine ­angenehmen Erfahrungen gesammelt, daher lassen wir von politiknahen ­Unternehmen lieber die Finger. Wir ­beraten auch keine politischen Parteien, keine Zigarettenfirmen – Alkohol würden wir aber schon machen. Haschisch auch, wenn es legal wäre … (lacht)

Dieses Interview erschien bereits am 13. Juni in der HORIZONT-Printausgabe 24/2014. Hier geht's zur Abo-Bestellung.
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