So einfach macht man "Scheiß"-Werbung
 

So einfach macht man "Scheiß"-Werbung

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Stéphane Xiberras und Roy Armale. Der eine ist Werber, der andere Stratege. Gemeinsam waren sie in Wien und haben ein Monster präsentiert, das schlechte Werbung kreiert

Gleich vorweg: Stéphane Xiberras und Roy Armale kannten sich zuvor nicht. Der eine lebt in Frankreich, der andere in Dubai. Wenn man das Gewinnen von Kreativpreisen als Maßstab nimmt, dann zählt Xiberras, Kreativdirektor BETC Paris, wohl zu den Besten seiner Profession. Armale ist Planning Director von OgilvyAction Dubai und kam der Anfrage von Strategie Austria und dem CCA, Wien zu besuchen und gemeinsam mit Xiberras den Workshop „Play! – Macht das Unmögliche möglich“ abzuhalten, sofort nach. Sie beide meinen, Werbung sei allzu oft schlecht und werde für die falschen Kunden gemacht. „Ganz ehrlich, es gibt da draußen wirklich sehr viel furchtbare Werbung, und ich frage mich, warum das so ist. Wir haben so viele kreative, talentierte Köpfe, so viel Zeit und Geld wird investiert, das kann doch nicht alles sein“, so Xiberras. Um das der Welt vor Augen zu führen, hat er ein – wie er selbst sagt – Monster konzipiert, das schlechte Werbung in ein paar Sekunden produzieren kann. Seine Message: „Lieber Kunde, wenn du miese Werbung möchtest, dann brauchst du uns eigentlich nicht. Spar dir dein Geld und nimm den CAI.“ Der CAI, Creative Artificial Intelligence, ist eine Software, die Xiberras mit seinem Team entwickelt hat. „Das ist ein Monster, eine katastrophale Maschine (lacht). Ich versuche damit, unser Geschäft, unsere Branche zu erklären. Der CAI produziert einfach Scheiß-Werbung.“

Das kreative Monster

Er greift zu seinem Laptop, klappt ihn auf und wider alle Erwartung springt kein Monster heraus. Ein schwarzer Bildschirm, leuchtgrüne Aufschrift, erinnert etwas an MS-DOS – das ist also der CAI. Man wird aufgefordert, ein paar Fragen zu beantworten: Welches Produkt soll beworben, welche Zielgruppe oder auch Produktvorteile angesprochen werden. Mittels Single-Choice-Verfahren wählt man das ­Zutreffende aus. Keine Minute später erscheint ein fertiges Sujet mit pas­sendem Slogan; man kann sich auch gleich über eventuelle Platzierungen Gedanken machen und auch hierfür Beispiele sehen. Unter den anwesenden Werbern machte sich etwas Angst breit, doch Xiberras beruhigte. „Keine Panik, ich habe nicht vor, diese Entwicklung zu verkaufen, ich nutze sie lediglich für diese Workshops, für uns als Denkanstoß.“ Roy Armale teilt die Auffassungen seines Kollegen vollends. „Er hat recht. Wir leben in Zeiten, wo es sehr schwierig ist, dumm und ineffizient zu sein, weil wir so viele Möglichkeiten haben, uns zu informieren. Wie kann es dann sein, dass so viel Schlechtes produziert wird? All diese modernen Technologien, die intelligenten Köpfe und immer noch so viel schlechte Werbung? Wir haben alle daran Schuld. Sehen Sie sich nur die großen Award-Shows an. Da wird die eine große Idee gehuldigt, aber die 99 anderen, auf die man nicht stolz sein braucht, gibt es ja auch.“

Acht Monate lang haben Xiberras und sein Team an der Software gearbeitet. Der Teil, der am arbeitsintensivsten war, war der strategische zu Beginn, denn hier habe man alle Kategorien, Filter und Klischees festgelegt. Dann hat Xiberras alle Slogans geschrieben. „Der CAI hat eine Million verschiedene Kombinationen.“

Der Kunde ist nicht der Kunde

Werbung bedeutet, etwas zu verkaufen, das sei die stille Übereinkunft mit dem Konsumenten. „Wir wissen, dass er weiß, dass wir ihm etwas verkaufen möchten. Die Art, wie man das macht, darauf kommt es an. Man darf nie den Respekt vor dem Konsumenten, dem eigentlichen Kunden, verlieren, denn der echte Kunde ist in diesem Fall nicht der Auftraggeber“, so Xiberras. Werbung mache man schließlich für den Endverbraucher, das werde aber oft übersehen. Armale: „Was ich leider sehr oft beobachtet habe, ist wie Ideen durch zu viele Kompromisse zu Tode verhandelt wurden. Zu Beginn war da etwas Gutes, dann beginnen sie daran zu basteln. Der Satz, den man da meist hört: Könnt ihr mein Logo größer machen? Gute Ideen werden niemals verworfen, sie sterben ganz langsam. Die ganze Zeit versuchen wir den ‚Mittelmann‘ glücklich zu machen, vergessen aber auf den Konsumenten.“

Geld bestimmt

Für all das Gesagte gebe es mehrere Gründe. „Einerseits fehlt es an Talent, das muss man schon ehrlich sagen. Andererseits fehlt es an Geld. Drittens ist es immer einfacher, nachzugeben und zum Kunden zu sagen: Ja, wir machen das so. Nur ein paar Leute haben wirklich den Glauben daran, dass intelligente Werbung gewinnen kann“, meint Xiberras. Was sich ändern müsse, da sind sich beide einig. „Die Arroganz“, schießt es aus ihnen heraus. „Jeder denkt, er kann es am besten. Aber das stimmt nun mal nicht. Sehen Sie sich einen Brand Manager an. 80 Prozent seiner Zeit verbringt er damit, sich um das Finanzielle zu kümmern. 20 Prozent seiner Zeit verbringt er mit dem Werbebereich, aber der benötigt nun mal viel mehr Aufwand. Man wird kein Profi, wenn man sich lediglich 20 Prozent seiner Zeit mit etwas beschäftigt. Die vorherrschende Arroganz kommt daher, dass sie das Geld geben, ganz nach dem Motto: ‚Wenn ich der Geldgeber bin, bin ich auch der, der kritisieren und bestimmen darf.‘ Ich spreche mich hier wirklich im Sinne der Kreativen aus“, so Armale.

Das kreative Ego

Es fehlt also an Talent, demnach wohl auch an Kreativität. Was bedeutet dieser Begriff heutzutage noch? „Kreativität ist, wenn man für ein definiertes Problem eine Lösung findet, und zwar jene Lösung, die der Lehrer in der Schule damals nicht hätte hören wollen. Wir haben von klein auf gelernt, in Strukturen und Mustern zu denken, weil das für uns sicherer ist. Kreative haben die einzigartige Möglichkeit, diese Regeln zu ignorieren. Wenn es nicht mehr heißt ‚Eins plus eins ist zwei‘, sondern ‚Eins plus Lila ist Gold‘, und wenn das Sinn macht, dann ist das eine kreative Antwort für mich“, so der Stratege Armale. Auch Kreativwettbewerbe stehen im kritischen Licht der Betrachtung. „Das ist ein schwieriges Thema. Einerseits ist das ganz wichtig für die Egos der Kreativen, andererseits stelle ich mir schon die Frage, warum manche Dinge gewinnen. Das würde sich in der Realität nicht verkaufen. Ich war ja selbst auch in Jurys und ich denke, das Beste an solchen Wettbewerben ist die Diskussion rund um die Arbeiten.“ Auch Armale ist kein Fan von Kreativ-Awards. „Das größte Problem sehe ich darin, dass die Werbung beginnt, mit Kunst zu konkurrieren. Warum ist das ein Problem? Weil wir ja ein Produkt verkaufen sollen. Sehen Sie doch nach Cannes. Dort finden wir das Festival of Creativity und nicht das Festival of ­Advertising. Noch einmal: Wenn der wahre Kunde der Konsument ist, dann ignorieren wir ihn komplett.“

‚Wir gehen ausgetretene Pfade‘

Die Veranstaltung fand in der Garage X statt, zuvor waren die beiden noch schnell ums Eck einen Kaffee trinken. „Immer wenn ich Wien oder Österreich höre, denke ich sofort an Stefan Sagmeister. Er ist ein Star, ich respektiere ihn, außerdem hasse ich ihn, weil er brillant ist“, lacht Xiberras.
Der Saal beginnt langsam, sich mit Menschen zu füllen, gleich geht es los. Unter den Zuhörern befinden sich auch CCA-Präsidentin Gerda Reichl-Schebesta und Sonja Prem von Stra­tegie Austria. „Strategie Austria und Creativ Club Austria machen diese Veranstaltung nun gemeinsam zum zweiten Mal, weil wir uns immer wieder ­Inspiration und Anregung von außen holen wollen. Wenn man mit Leuten spricht, die sehr erfolgreich Werbung machen, sieht man: Wir haben alle die gleichen Probleme, die gleichen Themen – nur gehen eben manche besser damit um. Mit Xiberras und Armale haben wir zwei Werber, die erzählen, was sie anders machen. Das sind keine Rezepte, die man einfach anwenden kann – das soll uns Lust und Mut machen, selbst etwas anders zu machen“, so Reichl-Schebesta. Die Maschine bringe ironisch die Wahrheit ans Licht. „Wir arbeiten oft mit Scheuklappen, gehen ausgetretene Pfade, weil wir uns im Gewohnten wohlfühlen. Oder wir wollen es uns leicht machen, wenn wir genervt sind, weil eine Idee zum zehnten Mal abgeschossen wird. Dann wundern und ärgern wir uns, wenn das Geld verpufft und nichts erreicht wird. Uns das vor Augen zu führen, kann wie ein gesunder Schock sein, denn man kann sich eben keine besseren Ergebnisse erwarten, wenn man immer das Gleiche macht.“ Prem: „Wir sind ein kleiner Markt, und darum ist es wichtig, dass wir uns von draußen zusätz­liche Inspiration holen. Unsere Ko­operation spiegelt die Bemühung von Strategie Austria und CCA perfekt ­wider, den kreativen Output durch strategische Untermauerung besonders relevant und interessant zu machen. Stéphane und Roy haben sich beide auf ganz besondere Art und Weise mit dem Thema ‚Spielen‘ auseinandergesetzt und ergaben somit eine interessante Paarung.“

Zum Schluss sei noch gesagt: Xiberras hat bereits eine Anfrage von einem amerikanischen Kunden bekommen, der das Copyright für den CAI kaufen wollte, aber er hat abgelehnt. „Er meinte, ich sei verrückt, ich könnte steinreich damit werden.“ Also auf­atmen für alle, die schlechte Werbung machen. Xiberras gibt dem kreativen Nachwuchs etwas mit auf den Weg. „Go for the best. Und nie vergessen: Es ist nur Werbung.“
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