Wien Nord launcht ‚Now:‘ – die Verantwortlichen kritisieren gängige Marktpraktiken, brechen eine Lanze für die Klassik und fordern mehr Sensibilität in der Markenpflege.
Dieser Artikel ist zuerst in Ausgabe Nr.3/2018 des HORIZONT erschienen. Noch kein Abo? Hier klicken!
Als Pool freier Kreativer 1996 gegründet, entwickelte sich Wien Nord über die Jahre zu einem Fixbestandteil der österreichischen Agenturszene. 2007 dockte Markus Mazuran an, der gemeinsam mit Eduard Böhler, Edmund Hochleitner und Andreas Lierzer Eigentümer ist. Während Digitalisierung in den Anfängen eine vernachlässigbare Rolle spielte, entwickelte sich diese zunehmend zu einer der zentralen strategischen Herausforderungen, was nun in der Gründung einer eigenen Agentur mündete. Hinter der neuen Agentur „Now:“ steht die Mutter Wien Nord, die als Haupteigentümer 55 Prozent der Anteile hält; als weitere Gesellschafter fungieren die Geschäftsführer Thomas Mang und Kurt Kaiser (je 16 Prozent) sowie Thomas Weiss (acht Prozent) und Markus Mazuran (fünf Prozent). Wien Nord Now: sei das Ergebnis einer kritischen Reflexion der heutigen Kommunikationslandschaft, wie die Verantwortlichen erläutern.
„Viele Marken bespielen digitale Kanäle, allerdings nicht aus einem konzertierten Überbau heraus“, kritisiert Böhler. „Oft werden Marken fehlgeleitet“, ergänzt Mazuran. Es herrsche große Unsicherheit am Markt, wie eine Marke heute zu führen sei, wie sich welcher Kanal auswirke und welche Maßnahmen in welchem Kanal überhaupt Sinn habe. Resultierend aus diesen Überlegungen soll die Mutter Wien Nord künftig weiterhin strategische und konzeptionelle Basis liefern – Now: sieht Geschäftsführer Mazuran als „bewusste Ergänzung, aber keine konventionelle Digitalagentur“: Das Leistungsportfolio reicht von Content Marketing, Social-Media-Umsetzung über Webentwicklung bis zu Markenpartnerschaften, zum Beispiel bei Sportevents; es gehe um digitale Kompetenzen samt integriertem Media-Einsatz und vor allem die Aktivierung von Marken mit Fokus auf Kollaborationen. Hier soll der ehemalige Volksbank- Marketer Kaiser, der die „V wie Flügel“-Kampagne der Bank in den letzten Jahren durch Partnerschaften mit Sportlern vorantrieb, sein Knowhow einbringen.
‚Große, starke Medien sind für die Markenführung essenziell.‘
„Ich hole den Konsumenten nicht ab, indem ich ihm die Tür eintrete. Ich muss es schaffen, ihn in seiner emotionalen Befindlichkeit so zu adressieren, dass er eine Marke akzeptiert und gut findet“, so Kaiser. Dabei gehen die Agenturchefs mit der Digitalbranche durchaus hart ins Gericht: „Es wird oft in Kauf genommen, dass Onlinewerbung 95 Prozent der Menschen nervt, weil die restlichen fünf Prozent trotzdem noch kaufen und Umsatz bringen – und das bei geringem Media- Budget-Einsatz“, kritisiert Mang. Dabei werde nicht beachtet, was das für die Marke an sich bedeutet. „Das Diktat schnellen Wachstums und Vertriebserfolgs kann den langfristigen, ausgewogenen Markenaufbau zerstören – und dann leidet die Akzeptanz durch den Konsumenten“, so Mang. Das passiere eben, weil der strategische Ansatz zu kurz komme. „Zuerst die kreative Idee, dann die technische Umsetzung – oft passiert das umgekehrt. Nur weil etwas messbar ist, ist es noch lange nicht sinnvoll“, so Mazuran. Mang ergänzt: „Digitale wollen oft alles messbar machen, hinterfragen aber nicht den Sinn. Nur weil die Kennzahl gut ist, muss die Wirkung nicht gut sein.“
Am Ende wenig Nutzen?
Dabei brechen die Wien-Nord-Chefs auch eine Lanze für die Klassik. Digital und Klassik seien zwei Rivalen, die einander brauchen. „Große, starke Medien sind für die Markenführung essenziell, um mit kalkulierten Streuverlusten auch Menschen anzusprechen, die du sonst nie erreichen würdest“, so Böhler. Die international sichtbaren Tendenzen – Stichwort Kürzung von Digitalbudgets bei Procter & Gamble – würden sich auch am heimischen Markt bemerkbar machen, so Mazuran: „Es findet eine Bereinigung am Markt statt. Wir sehen viele, die alles durchgemessen und optimiert haben und dann feststellen, dass ihnen all das nichts gebracht hat.“ Böhler spricht von der digitalen Pubertät, in der sich die Marktkommunikation befinde: „Überall zwickt es, jeder würde gerne, aber das Herauskommen aus dieser Phase als gereifter Erwachsener schaffen nur wenige Marken.“
Zentrale Schlagworte sind Markenakzeptanz und Aktivierung von Konsumenten. Das gemeinsame Erleben, das Momentum, die Emotionalisierung sieht auch Kaiser als Erfolgsgarant mit steigender Bedeutung. Sponsoring und Partnerschaften sieht er als wirksame Hebel, aber auch hier herrsche Optimierungsbedarf: Sponsorings abzuschließen und dann ausschließlich auf Visibilität zu setzen, sei zu wenig. „Eine Marke muss weiter hineingehen, Erlebnisse schaffen, Emotion wecken – und das findet immer großteils noch analog statt. Digital schafft es dann ergänzend zu optimieren und zusätzlich zu aktivieren.“ Mit derzeit 17 Mitarbeitern betreut Now: Kunden wie die Industriellenvereinigung, Ruefa und Splashline sowie Athleten vor allem aus dem Motorsport. Konkrete Erwartungen haben die Verantwortlichen jedenfalls für das angelaufene erste Jahr, wenn auch nicht monetärer Natur: „Unsere Ziele sind nicht auf Umsatz, Income oder Mitarbeiteranzahl ausgerichtet“, so Mazuran. „Wir haben keinen Wachstumsdruck. Wenn wir in einem Jahr durchgängig Qualität geliefert haben, ist das Ziel erreicht.“