"Konsumenten gestalten die Marke"
 

"Konsumenten gestalten die Marke"

Carat-Geschäftsführer Georg Gartlgruber und Herbert Pratter, Chief Digital Officer Aegis Media Austria, erzählen im HORIZONT-Interview, wie Konsumenten Marken steuern, sprechen über Omnichannel-Marketing und darüber, was Programmatic Buying wirklich kann

Georg Gartlgruber: Wir könnten das Gespräch mit dem schönen Satz ­be­ginnen: Die Welt der Kommunikation hat sich verändert. Er ist jedes Mal aufs Neue noch einmal richtiger als beim letzten Mal.

HORIZONT: Da ist etwas Wahres dran.


Herbert Pratter: Wichtig ist es, zu erkennen, dass es keine Industrie oder Warengruppe gibt, die sich nicht mitverändert und Neuerungen inhaliert.
Gartlgruber: Das Marketing hat jetzt die Chance, wieder seine Hoheit über Vertrieb und Controlling zurückzugewinnen - denn es geht nicht mehr nur um das alte System, das wir auf der Wirtschaftsuniversität gelernt haben, von Preis, Positionierung, Promotion, Packaging, sondern es geht um ein gesamthaftes Produkterlebnis. Ich wollte kürzlich meine Miles-&-More-Karte reaktivieren, das kostete mich einen Anruf und ein E-Mail, und die Sache war gelöst. Auch das ist Teil des Produkts.

Pratter: Und hier muss das Marketing seine Hände im Spiel haben, über diese Erlebnisse kann nicht die Reklamationsabteilung alleine bestimmen, denn diese Erlebnisse wirken sich direkt auf das Buchungsverhalten aus.

HORIZONT: Zuletzt hatte das Controlling die Oberhand in Unternehmen ...

Gartlgruber: Nun machen Daten, konvergente Strategien und die Techno­logie das Marketing wieder relevant.

Pratter: Wobei der Mensch immer einen Schritt voraus ist, er nutzt, was für ihn "convenient" ist und einen Mehrwert bringt. Die Ermächtigung des Konsumenten ist eine Riesenveränderung, der die Werbeindustrie hinterherhinkt. So zeigt die letzte ÖWA, dass nahezu die Hälfte das Internet mobil nutzt. Wir wissen auch, dass TV und Online gut zusammenspielen, dass ­Facebook stark ist, also werden Agenturen und Unternehmen sich in diese Richtungen bewegen müssen. Ein Beispiel: Nach 80 Jahren als Familien­betrieb wurde Eybl an einen britischen Sportdiskonter verkauft. Eybl hat das Thema E-Business zu spät erkannt und die Briten haben nun den gesamten Onlineshop abgedreht und alles auf ihr bereits perfekt aufgebautes digitales Warenwirtschaftssystem verlinkt, das alles bietet, was ein Konsument braucht.

HORIZONT: Am Puls der Zeit zu sein ist also das Thema. Was heißt das nun für Mediaagenturen?

Gartlgruber:
Omnichannel ist das Stichwort. Wir denken nicht mehr in ­linearen Plänen, sondern in kommu­nikativen Ökosystemen. Wir sind nicht mehr Planer, sondern Kommunikationsarchitekten, die Bought-, Owned-und Earned-Kanäle bedienen. Der ­TV-Spot führt zum Angebot einer Face­book-Site, von da kommt der Konsument auf die Website, wo ein Kauf ­möglich wird. Es geht um Verlinkung.

HORIZONT: Und einen Abschluss.

Gartlgruber:
Darum geht es immer, den Unternehmenserfolg - mehr Umsatz, Sales, Wachstum, Markenbindung. Ich habe letztens jemanden mit der Aussage schockiert: Die Marke wird von den Konsumenten gestaltet. Die Marke ist eben nicht, was der Marketingmanager in sein Positionierungschart schreibt.

Pratter: Ein gutes Beispiel ist adidas, das sich mit der Marke adidas Originals dorthin entwickelt hat, wo der Konsument adidas haben wollte: in die Lifestyle-Ecke.

Gartlgruber: Auch bei Mini wirkte der Konsument indirekt mit: Man wollte das Image des urenglischen Autos ­stärken und hat dabei das Web durchforstet und alles, was Ideen von Menschen für Mini zeigt, herausgesucht und via Tumblr in die Welt geschickt - einen Mini aus Sand am Strand, Kinder, die mit ferngesteuerten Minis spielen. Hinzu kam reaktive Werbung auf digitalen Screens, die Leuten in Minis mittels Gutschein gratulierte. Das wurde dann wieder zu Content verarbeitet. So läuft das heute.

HORIZONT: Mini ist eine große Brand - was können kleine Marken tun?

Pratter
: Zurück zum Ursprung, die Umweltmarke von Hofer, lud Kinder in Schulen zur Mitarbeit, da kamen 800 Einsendungen zum Thema Umweltschutz, die wieder verwendet werden können. Der kleine Bäcker Joseph Brot hat es über eine gute Idee und eine Fan Base zu großer Bekanntheit geschafft.

Gartlgruber
: Es geht darum, Menschen dazu zu bringen, sich regelmäßig mit einer Marke auseinanderzusetzen, da genügen einige Tausend Fans.

HORIZONT: Das klingt nach Aufgaben einer Kreativagentur, übernimmt das nun die Mediaagentur?

Gartlgruber:
Die Kreation, Detailpläne, die Umsetzung - alles ist ein Stück weit konvergenter, wenn es aus einer Hand kommt. Wir können alles anbieten. Isobar gestaltet TV-Spots, auch Hörfunkkampagnen und mehr und nicht nur kreative digitale Umsetzungen. Hinzu kommt die iProspect, die im Search- und Performance-Marketing firm ist. Wichtig ist, dass eine Unit den Lead übernimmt. Welche, das sagt uns der Kunde.

HORIZONT: Das klingt nach Machtübernahme ...

Pratter:
Wir sind eine Kommunikationsagentur und agieren mit Projektteams, die umfassende Beratung bieten.

Gartlgruber: Die wahre Herausforderung liegt für alle Agenturen in der Struktur. Wir arbeiten als multidimensionale Matrixorganisation, wo alle Units in eine große Gewinn- und Verlustrechnung einzahlen. Das Problem war, dass früher jede Abteilung Umsatzziele erreichen musste. Nun arbeiten wir mit Gegenverrechnungsmodellen und aus Einzelkämpfern wurden so Team­player - wenn Omnichannel das Ziel ist, müssen eben alle zusammenarbeiten.

Pratter: Der Erfolg gibt uns recht, unser Umsatz ist in den letzten beiden Jahren jeweils um 30 Prozent gewachsen.

HORIZONT: Was fließt in welchen Medienkanal und wie ist die Entwicklung?

Gartlgruber:
Der Mix 2012 sah in etwa so aus: 43 Prozent TV, 21 Prozent Digital, 20 Print, neun Hörfunk. 2013 hatten wir einen Digital-Share von 23 Prozent, 2014 werden wir bei 26 Prozent liegen. Generell hat es Print nicht leicht, die Verlage leben von einem historisch ­hohen ­Niveau. TV entwickelt sich eigen­artig - es gibt eine hohe Inflation der Preise, die Kunden irritiert, parallel geht die TV-Nutzung zurück, es gibt neue Angebote wie Apple TV, Netflix, die mobile TV-Nutzung nimmt zu, wird aber noch nicht erfasst. Mancher FMCG-Kunde ist offen für Planspiele mit höherem Digitalanteil und niedrigeren TV-Budgets.

Pratter: Die Planung muss dem Konsumenten folgen, alles andere ist un­seriös. Beim Campari-Pitch konnten wir mit konsequent interaktiver digitaler Planung punkten und überzeugen, es ging nur um Strategie, Konditionen waren ein Randthema.

HORIZONT: Apropos Digital: Programmatic Buying ist derzeit in aller Munde - wie ist der Zugang von Aegis Media?

Pratter:
Wir werden heuer einen siebenstelligen Betrag in Programmatic investieren. Auf Mobile laufen beispielsweise 70 Prozent der Spendings programmatisch, also automatisiert. Der Vorteil ist, dass ich Echtzeitmarketing betreiben kann - die Grenze zwischen Mikro- und Makromarketing verschwimmt. Makro streut breit, doch sobald ich den Nutzerkontakt habe, gehe ich tiefer, etwa über einen Kundenklub, und dann können wir schnell mit dem Nutzer direkt kommunizieren. Real Time Advertising, die meistgenutzte Form von Programmatic Buying, ist im Grunde eine Übersetzung von Customer Relation Management, CRM, in eine digitale Kommunikationsstrategie - ich erreiche meine Zielgruppe, zum Beispiel Gartenliebhaber, zielgenau, unabhängig davon, wo sie sich im Netz bewegt. Es ist ein Gedanke aus der Printplanung, allerdings mit dynamischen Preisen, und ich bin überzeugt, wir werden ihn über kurz oder lang auch im TV wiederfinden.

Gartlgruber: Der Vorteil für den Kunden: Das Ergebnis ist messbar. Wenn etwas relevant ist, dann sind es Daten, etwa die voll ausgebaute Kunden­datenbank, die alles weiß.

HORIZONT: Zum Abschluss: Welche Veränderungen hat das Dentsu-Netzwerk gebracht?


Gartlgruber: Es ist eine perfekte Ergänzung in der Geografie und was die Kunden betrifft. Das Know-how ist gewachsen und wir kommen zu Pitches, wo wir bisher nicht dabei waren. Außerdem wachsen Kreation und Media noch mehr zusammen.



Dieses Interview erschien bereits am 29. August in der HORIZONT-Printausgabe 35/2014. Hier geht’s zur Abo-Bestellung.
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