Gerhard Fehr: ‚Experimentieren hat oft etwas ...
 

Gerhard Fehr: ‚Experimentieren hat oft etwas Anrüchiges‘

Fabian Henzmann
Verhaltensökonom und Berater Gerhard Fehr
Verhaltensökonom und Berater Gerhard Fehr

Verhaltensökonom und Unternehmensberater Gerhard Fehr erachtet ständiges Experimentieren in einer sich rasant verändernden Welt als unbedingt notwendig. Gemeinsam mit Russmedia hat er nun einen Prototyp speziell für KMU entwickelt. Fehr ist überzeugt: Innovationen scheitern oft an der Herangehensweise an sich.

Dieser Artikel ist zuerst in Ausgabe Nr. 17/2018 des HORIZONT erschienen. Noch kein Abo? Hier klicken!

Fail fast, fail often“ ist eine im digitalen Wandel gern genannte Anleitung, um Innovation voranzutreiben. Das Experimentieren sieht auch Verhaltensökonom und Unternehmensberater Gerhard Fehr als essentiell, wenngleich er den zitierten Sager auf „fail fast, but fail small“ abwandelt. Er berät Unternehmen in der Umsetzung von Innovationen und bringt diesen Service nun in gemeinsamer Umsetzung mit dem Medienhaus Russmedia auch als standardisiertes Produkt für KMU. „Das große Problem vor allem bei KMU ist, dass zwar eine Idee vorhanden ist – oftmals auch der Prototyp – aber keine Software existiert, die das Testing in den vorhandenen Strukturen ermöglicht“, so Fehr. Innerhalb von wenigen Minuten soll damit jedes analoge Unternehmen experimentierfähig gemacht werden.

Auf Basis der entwickelten Technologie gehen die Beteiligten im Herbst in eine erste Kapitalrunde für potenzielle Investoren. „Ich orte eine extreme Skalierbarkeit für unser eigenes Businessmodell, weg von der klassischen Beratung wie bisher zu einer Tech-Company“, so Fehr. Der Standort Wien soll dabei eine zentrale Rolle für den internationalen Rollout spielen. HORIZONT hat mit Fehr, der zum Thema auch die Keynote beim Kommunikationstag des PRVA gehalten hat, über Innovationsgeist gesprochen.

Horizont: Sie haben in Ihrer Keynote gemeint, die Kommunikationsbranche bestehe zu einem Großteil aus Kopieren – nicht im negativen Sinn, sondern als Wiederholen von etablierten Vorgehensweisen. Ab welchem Zeitpunkt müssen Unternehmen Kopieren durch Innovation ersetzen?

Gerhard Fehr: In einer stabilen Welt verändern sich auch Verhalten wenig. Da gibt es einen wertvollen Erfahrungsschatz, auf dem Kommunikation aufbaut. In einer digitalen sich rasant verändernden Welt ändert sich menschliches Verhalten fundamental: Die Aufmerksamkeitsspanne wird geringer, Verhalten passiert nicht auf kognitiver Basis, Entscheidungen werden völlig anders als bisher getroffen. Darauf muss auch Kommunikation reagieren und nun Neues erlernen. Die Digitalisierung erlaubt es uns, parallel in Testumgebungen zu probieren – das sollte auch die Kommunikation stetig tun. All jene, die digital erfolgreich sind, haben dieses Denken bereits in ihrer DNA.

Aber wie sollen jene agieren, die das nicht in ihrer Denke verankert haben?

Jene, die aus analogen Strukturen kommen, müssen das erlernen – das ist für sie ein Paradigmenwechsel. Das Problem ist, dass diese oftmals das analoge Modell eins zu eins digitalisieren. Und eben das funktioniert nicht. Jedes Unternehmen ist auf Grund eines Experimentes entstanden, aus einer Kultur herauszufinden, was am Markt funktioniert; dieser Ansatz darf in weiterer Folge nicht verloren gehen.

Scheitert das bewusste Zugehen auf Innovationen und dem Testen von Neuen aus Ihrer Sicht an der fehlenden Zeit, den Budgets oder dem Verständnis?

Das ist vorrangig eine Frage der Kultur. Experimentieren hat oft etwas Anrüchiges, auch im Sprachgebrauch. Dieses Verständnis muss geschaffen werden, das muss man sich bewusst trauen.

Ist Probieren und Scheitern auch eine Frage der Unternehmensstruktur, also schließen Hierarchien Innovation per se aus?

Nein, es ist keine Frage des Organizational Design. Spotify hat eine komplett flache Hierarchie und ist experimentierfähig. Amazon ist komplett hierarchisch und prozessorientiert strukturiert und ist trotzdem experimentierfähig. Apple agiert in einer Matrix und ist komplett experimentierfähig. All diese Firmen vollziehen systematisch Experimente, Hierarchie ist da nur das Koordinationsmodell.

Was braucht es also in Unternehmen, um Innovation strukturiert zu ermöglichen?

Erstens die Kooperationsfähigkeit zwischen Abteilungen im Unternehmen. Das zweite ist das notwendige Feedback-Element, so dass der, der nicht mitmacht, schnell an Bord geholt werden kann. Gewährleistet man das, ist jede Form von Organisation extrem schnell experimentierfähig. Und es braucht den Leader an der Spitze, der all das verkörpert. Es gilt Prototypen zu entwickeln, diese zu testen und zu erforschen, wie das Verhalten darauf ausfällt – und wie es möglicherweise verändert werden muss. Usage ist ein zentraler Kernwert; ohne konkreten Nutzen hat keine Maßnahme und keine Kommunikation einen Wert.

Verhaltensökonomie mit Bereitschaft zur Innovation wurde den USA früher stärker zugeschrieben als dem europäischen Markt. Hat sich das aus Ihrer Sicht verändert?

Ich glaube wir haben in den USA eine andere Gründerkultur, aber keine andere Experimentierkultur. Wir haben auch in Europa Digitals, die das in ihren unternehmerischen Genen tragen und gut tun. Aber es gibt analoge Firmen, die gelernte Strukturen haben, wie sie Probleme angehen; stark angepasst an eine langsamere, vergangene Welt. Innovationsgeist ist vielmehr eine Frage der unternehmerischen Heritage und nicht der geografischen Herkunft.


Zur Person

Gerhard Fehr ist angewandter Verhaltensökonom, CEO des Zürcher Beratungsunternehmens FehrAdvice & Partners, Behavioral Designer sowie Medien- und Kommunikationsberater. Der gebürtige Österreicher lebt und arbeitet in der Schweiz. Vor seiner Tätigkeit als Berater war er unter anderen für Vienna Capital Partners, als Finanzanalyst, für Cornèr Banca SA und die Aduno Gruppe tätig. Bei FehrAdvice sieht er es als seine Aufgabe, Unternehmen experimentierfähig zu machen. „Ich möchte als Mensch andere mit evidenzbasiertem Wissen inspirieren. Warum? Weil evidenzbasiertes Denken und Handeln die Grundlage einer systematischen Fehlerkultur ist“, so Fehr, der als persönlicher Ratgeber für Politiker, Verwaltungs- und Aufsichtsräte, CEOs und dem Top-Management in Unternehmen agiert.

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