Gefährden neue Herausforderer die Media- und ...
 

Gefährden neue Herausforderer die Media- und Digitalagenturen?

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Fremde Anbieter drängen in den Markt der Media- und Digitalagenturen und entfachen neuen Wettbewerb. Zur Frage, inwiefern ihr klassisches Geschäft durch externe Berater gefährdet ist, gehen die Meinungen auseinander.

Diese Coverstory ist zuerst in Ausgabe Nr. 3 / 2018 des HORIZONT erschienen. Noch kein Abo? Hier klicken!

Sie akquirieren Digitalagenturen, sitzen auf internen Daten werbetreibender Unternehmen und deren Konsumenten und versuchen, in das Geschäft der Mediaagenturen vorzudringen. Sowohl Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen wie Accenture oder BCG als auch Technologiedienstleister wie IBM oder SAP scheinen global mit ihrem Verständnis für Geschäftsprozesse und technologische Lösungen in den Werbemarkt vorzupreschen. Die etablierten Mitspieler in diesem Markt – darunter die Media- und Digitalagenturen – haben Konkurrenz bekommen.

Laut einem aktuellen Bericht der internationalen Beratungsfirma R3 wird 2018 eine der drei weltweit größten Herausforderungen für Kommunikationsagenturen das Thema der Akquisition sein. Firmen wie Accenture oder Deloitte könnten sogar die Übernahme einer großen Agentur-Holding in Erwägung ziehen. Laut R3-Gründer Greg Paull war das vergangene Jahr jenes, in dem erkannt wurde, dass das Agenturenmodell bedroht ist. Dieses Jahr würde interessant werden, wie die Agenturen mit dieser Bedrohung umgehen, wie Paull gegenüber Adweek prognostizierte.

Und in Österreich? HORIZONT sprach mit heimischen Vertretern des Media- und Digitalagenturenmarktes und fragte auch im Feld der Beratungsunternehmen nach.

‚Keine Bedrohung im großen Stil‘

Eine Gefahr für Mediaagenturen sieht Peter Lammerhuber, IGMA-Präsident und CEO der GroupM Austria, weder in den Beratungsunternehmen noch in den Technologiedienstleistern: „Denn was Mediaagenturen machen, ist superkomplex. Diese Komplexität aus dem Boden zu stampfen, ohne dem historischen Wissen und den Systemen einer Mediaagentur, wird sehr schwer.“ Zwar sehe man, dass Beratungsunternehmen wie Accenture im Onlinebereich eine Agentur gründen und IBM sowie SAP in den Programmatic-Bereich drängen. Dennoch handle es sich hier um einen Teilbereich der Media-Agenden, nämlich Online. „Eine Bedrohung im großen Stil kann ich derzeit nicht erkennen, weder in Europa, noch in Österreich.“ Auch sei ihm etwa kein Case seitens Unternehmen wie IBM bekannt, der im Onlinebereich bereits überschwänglich positive Aufmerksamkeit erregt hätte. Und verfüge eine Firma wie Accenture über eine Telemetrielizenz für TV, so Lammerhuber, „nutzt diese wenig, wenn ich TV-Werbeblöcke nur ex post messen kann. Ich muss Prognosen für ein ganzes Jahr treffen können, Kampagnen umsetzen, abbilden und Wechselwirkungen mit anderen Medien messen sowie Wettbewerbsanalysen erstellen. Den Kunden beraten kann man nur, wenn man diese Daten analysieren kann. Und das tun wir als Mediaagentur.“ Was Mediaagenturen künftig im Wettbewerb mit anderen Unternehmen jedoch verstärkt tun müssten: „Sich richtig positionieren. Und den Kunden klarmachen, dass wir mehr sind als eine bloße Schaltagentur.“

Heimo Hammer, CEO der umsatzstärksten heimischen Digitalagentur kraftwerk (laut Update-Digitalagenturranking), erkennt in Technologieund Beratungsunternehmen durchaus Bedrohungspotenzial. Dass diese auch in Österreich in Richtung Digitalagentureinkauf gehen, sei außerdem keine Zukunftsmusik, sondern längst Realität: „Auch kraftwerk hat schon einige Kaufangebote erhalten; IBM und Accenture haben bereits angeklopft, ebenso Dienstleister aus Deutschland. Aber ich werde nicht verkaufen, weil wir ein anderes Geschäft bedienen“, zeigt sich Hammer überzeugt.

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Firmen wie SAP sind Hammer zufolge stark bei Softwarelösungen im Technologiebereich, bei digitalen Change-Plattformen, CRM, Portalen und Apps. KMPG würde etwa die Digitalisierungs- und IoT-Beratung vorantreiben. All das müssten Digitalagenturen anerkennen, auch, dass der Kauf durch technische Anbieter in den kommenden zwei Jahren „ziemlich zunehmen wird. Schaut man sich das HORIZONT-Digitalagenturen- Ranking von vor fünf Jahren an, so gibt es jetzt noch zwei, drei Agenturen in den Top zehn, die noch nicht gekauft wurden. Von den heutigen Plätzen elf bis 20 wird in den nächsten drei Jahren die Hälfte aufgekauft sein.“

Gleichzeitig stellt Hammer klar: „Die Vermarktung, Suchmaschinenwerbung, Social Media, Content, Kommunikation oder Programmatic und das gute alte Display liegen immer noch in Agenturenhand. Auch der Markt der Open-Source-Lösungen und digitale Umsetzungen generell werden nach wie vor stark von Digitalagenturen abgedeckt.“

Eingriff in die digitale Kreation

Werbeagenturen stehen Hammer zufolge vor dem Problem, „dass ihnen die digitale Kompetenz nicht immer abgenommen wird. Digitalagenturen wiederum verfügen nicht immer über die Markenführung, dafür aber über eine ausgeprägte Umsetzungskompetenz.“ Zudem würden Touchpoints digitaler werden.

Auch in die digitale Kreation werde seitens der Beratungsunternehmen nun zunehmend eingegriffen, merkt Hammer an: „Jobportale wie karriere. at oder Stepstone sind dafür ein guter Indikator. Dort merkt man, dass Deloitte oder Accenture Digital-Units aufbauen, für die sie etwa Screen- Designer suchen.“

Eine große Herausforderung auf Kundenseite im Zuge der digitalen Transformation ist laut Hammer, dass ebendiese in vielen Branchen erst noch bevorstehe. Während der „digitale Change“ in der Tourismussparte bereits stattgefunden habe, werde er nun im Retail- sowie im Gesundheitsund Pharmaziebereich erwartet. Am meisten unter Druck kommen würden Unternehmen, die standardisierte Leistungen anbieten, wie Banken und Versicherungen, die zunehmend Wettbewerb durch FinTech-Firmen erhielten. Und, so Hammer weiters: „Der verstärkte Weg zu Programmatic ist vorgezeichnet, integrierte Digitallösungen in Medienhäusern finden sowieso schon statt.“ Trotz aller digitaler Umwälzungen ist sich Hammer aber sicher: „Zeitungen und TV wird es immer geben.“

,Übernahmen immer möglich‘

Angesprochen auf die Prognose von Greg Paull in dem Adweek-Artikel, wonach Unternehmen wie Accenture oder Deloitte 2018 die Übernahme einer globalen Holding-Gruppe anstreben könnten, „insbesondere angesichts des enttäuschenden Ergebnisberichts von WPP im dritten Quartal 2017“, meint Lammerhuber: „Bezüglich WPP kann ich gar nichts sagen. Ganz abgesehen davon sind Übernahmen von an der Börse gut bewerteten Konzernen immer möglich.“ Hart in die Kritik geht Lammerhuber mit Beratungsunternehmen und Audit- Firms, was die Verwendung von Daten anbelangt: „Beratungsfirmen haben 20 Jahre lang gutes Geld daran verdient, Mediaagenturen im Auftrag der Kunden bezüglich Performance und kaufmännischer Gebarung zu überprüfen. Dabei haben sie immer wieder Daten, vor allem im Onlinebereich, abgesaugt – betreffend Pricing, Rabatte, User- oder Kampagnen-Performancedaten.“ Schon öfter habe die GroupM dieses Vorgehen kritisiert und versucht, mit Geheimhaltungsklauseln gegenzusteuern. „Aber man kann leider nichts dagegen tun“, resümiert Lammerhuber.

‚Digitalisierung nach innen‘

Dass der Wettbewerb im Beratungssegment zugenommen hat, scheint unstrittig. Auch die „Gegenseite“ scheint dieser Auffassung zu sein, wie Michael Zettel, Country Managing Director Accenture Österreich gegenüber HORIZONT sagt: „So viel Bewegung wie jetzt gab es selten im Markt. Die Digitalisierung durchdringt und verändert alles.“ Dabei gehe es vor allem um die Antwort auf die Frage, wie man heute digitale Produkte und Services entwickeln könne, die etwas erfolgreich verändern könnten. Seine Antwort: „Innovation durch die Entwicklung von transformationalen Produkten, die ein einzigartiges Kundenerlebnis ermöglichen.“ Entscheidend sei hier die Umsetzung im Geschäftsmodell und in den dahinterliegenden Geschäftsprozessen, so Zettel: „Die beste Ticketbuchungs-App nutzt nichts, wenn sich der Kunde für den Check-in nochmal lange anstellen muss, weil das Unternehmen etwa den Onlinekanal nicht mit dem Geschäftsprozess verbunden hat.“ Hier knüpfe Accenture an, indem es Innovation mit der Umsetzung in den Geschäftsprozessen verbinde. „Das Verständnis für die Transformation von Prozessen durch IT – die Digitalisierung von Unternehmen nach innen – ist unsere Kernkompetenz. Neu war für uns bis vor Kurzem die Kompetenz für Digitalisierung nach außen aufzubauen. Die ist uns durch Akquisition und organisches Wachstum in den letzten Jahren gelungen“, so Zettels Fazit. Accenture schloss erst vergangenes Jahr im deutschen Markt die Übernahme der Digitalagentur SinnerSchrader ab, um sein „Customer-Experience-Angebot in Deutschland auszubauen“, wie es auf der Website heißt.

Accenture-Agentur: 40 Mitarbeiter

Und Wachstum gelte auch für Österreich. So zählt die eigens gegründete Digitalagentur Accenture Interactive in Wien bereits 40 Mitarbeiter. Die Vorteile der internationalen Akquisitionen wie von SinnerSchrader oder der Designberatungsfirma Fjord setze man bereits für die Kunden in Österreich ein.

Bedroht sieht sich Zettel von Media- oder Digitalagenturen nicht: „Im Gegenteil, wir sehen die Entwicklung sehr positiv.“ Und einen Standpunkt scheinen Zettel sowie Lammerhuber gleichsam zu vertreten: Die Überzeugung, dass das jeweils eigene Geschäft auf jener Komplexität fuße, die der jeweils andere schwer übernehmen könne. Zettel dazu: „Wir sind mit Accenture Interactive nun in Bereichen wettbewerbsfähig, die wir früher nicht bedienen konnten, wie die Gestaltung eines Portals oder einer Plattform – weil dahinter immer die Geschäftsprozesse angepasst werden müssen. Umgekehrt ist das viel komplexer: Die Media- oder Digitalagenturen können gar nicht die Industrie- und Prozesskompetenz aufbauen, die wir uns über Jahrzehnte mit mehr als 400.000 Mitarbeitern weltweit erarbeitet haben.“

Habe der digitale Auftritt früher aus 80 Prozent Verpackung oder Kreativität bestanden und zu 20 Prozent aus Inhalt und Orchestration, sei es heute umgekehrt: „Es ist zu 80 Prozent Technologie mit Prozess und nur mehr zu 20 Prozent die Kreativität. Da können wir uns gut vom Wettbewerb differenzieren.“ Als Kerngeschäft von Accenture erachtet Zettel neue Technologien wie AI oder Blockchain, mit Geschäftsnutzen für die Kunden. Diese Technologien würden sowohl die Geschäftsprozesse nach innen als auch das Kundenerlebnis massiv verändern. Tiefes Technologie-, kombiniert mit Geschäftsverständnis, sei Voraussetzung für den Einsatz dieser technologischen Optionen. „Wir sehen und entwickeln für unsere Kunden weltweit täglich neue Anwendungsfälle, die wir dann auf andere Kundensituationen übertragen können“, ergänzt Zettel.

Beratung bei Programmatic

Für iab-Geschäftsführer Stephan Kreissler hat die „reine Digitalisierung von Geschäftsprozessen, wie sie von Beratungsunternehmen vorangetrieben wird, noch nichts mit erfolgreicher Kundeninteraktion zu tun. Die Kompetenz liegt hier klar bei den Agenturen, die auf Brand Image, Absatz und Interaktion fokussieren.“ Er verortet „in jeder guten Agentur“ auch ein gutes Beratungsunternehmen, das die Geschäftsprozesse des Kunden ganzheitlich betrachte. Werbung werde aufgrund der Digitalisierung nicht mehr zu einer losgelösten Disziplin, sondern zu einem integrierten Teil des Geschäftsmodells. Touchpoints würden vielfältiger und insbesondere Onlinestores würden zeigen, wie nahe Marketing, Absatzkanal und Kundeninteraktion beisammen liegen.

Auch in Erwartung der Umsetzung der DSGVO und der ePrivacy- Richtlinie sieht Kreissler die Agenturen im Vorteil, da diese die Kunden spezifisch anhand ihrer Kommunikationsbedürfnisse beraten könnten – „auch hier gewinnt das Spezialwissen der Agenturen vor dem sich über weite Bereiche erstreckenden Berateransatz.“ Gleiches gelte für Programmatic: Die steigende Komplexität des programmatischen Handels spiele Agenturen und Publishern in die Hände, bei denen Kompetenzen aufgebaut werden konnten, die auf Kundenseite kaum realisierbar wären. Kreissler dazu: „Die Beratungskompetenz ist vermehrt gefragt, ebenso impactstarke Sonderumsetzungen, die nach persönlicher Beratung verlangen.“

Greg Paull dürfte zumindest in einem Punkt wohl Recht behalten: 2018 wird sicher noch ein interessantes Jahr, was das verstärkt umkämpfte Werbe-Spielfeld mit seinen zahlreichen Playern betrifft.

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