Die One-Man-Show ist zum Wien-Start bereit
 

Die One-Man-Show ist zum Wien-Start bereit

Jandl
Löwe für die Slowakei: „Ich verstehe die Sprache zwar nicht, vertraue den 20 Mitarbeitern in der Kreation aber blind“, sagt Fliesser.
Löwe für die Slowakei: „Ich verstehe die Sprache zwar nicht, vertraue den 20 Mitarbeitern in der Kreation aber blind“, sagt Fliesser.

Der siebenmalige Cannes-Löwen-Gewinner Bernd Fliesser ist Kreativchef von Jandl in der Slowakei. Für dieses Jahr ist die Rückkehr nach Österreich avisiert

Dieser Artikel erschien bereits am 29. Jänner in der HORIZONT-Printausgabe 4/2016. Hier geht's zur Abo-Bestellung.

Awards, sagt Bernd Fliesser, sind ihm mittlerweile egal. Fast. Die Ausnahme, die er um ihrer selbst Willen noch anstrebt, sind die D&AD Awards in London. 2009 durfte Fliesser die D&AD auch jurieren. Praktisch alle anderen Auszeichnungen, die ein Kreativer in der Werbung anstreben kann, hat der gebürtige Grazer längst auf seiner Referenzliste: ADC*E, Clio, Epica, Golden Drum, ddp, Effie, CCA-Venus, zahlreiche Einträge in Lürzer’s Archiv, und mittlerweile sieben Löwen in Cannes. Seinen jüngsten Löwen holte er im Vorjahr in die Slowakei: In Bratislava ist Fliesser nämlich 2013 als Chief Creative Officer vor Anker gegangen, bei Jandl marketing a reklama, s.r.o.

Auf seiner Anreise von Baden bei Wien in die slowakische Hauptstadt begleitete HORIZONT den Jandl-CCO vor einigen Tagen bis in sein Büro, wo gerade ein Buch über ÖFB-Teamchef Marcel Koller am Schreibtisch liegt. „Am Anfang, also im ersten Jahr, habe ich noch in Bratislava gewohnt, jetzt pendle ich vier oder fünf Mal die Woche. Ich fahr gegen den Hauptverkehrsstrom, das geht von Tür zu Tür in etwas mehr als einer Stunde“, erzählt Fliesser. Dieser Neustart als wiederum Werbe-„Legionär“ im östlichen Ausland war auch ein Karriereschritt gewissermaßen gegen den Strom, alles andere als geplant und ereilte ihn praktisch auf der „grünen Wiese“, wie er sagt: „Ich kannte die Agentur nicht einmal vom Namen. Der Inhaber hatte mich über LinkedIn kontaktiert.“

Wichtig sei diesem gewesen, dass Fliesser damals schon Löwen auf seiner Referenzliste hatte und er möglichst auch einen für Jandl erobert – diese Aufgabe ist mittlerweile erfüllt. Und für Fliesser war wichtig, dass er eine Perspektive hatte, wieder nach Wien zurückzukehren. Das hatte er dem Jandl-Chef Ladislav Zdút damals gesagt und ­dieser hatte Fliessers Offenheit auch geschätzt: Die Erfüllung der „Mission Wien“ steht voraussichtlich in diesem Jahr an, Jandl Österreich ist gegründet, Fliesser hat die Agentur bei Unternehmen präsentiert, „um einmal am Radar zu sein“.

Warum aber war Fliesser, der zuvor in Frankfurt, London, Mailand, Zürich, und New York jeweils zumindest vorübergehend tätig war, vor nunmehr drei Jahren überhaupt für ein Slowakei-Abenteuer zu haben? „Als ich ab 2009 als CCO bei Draftfcb Kobza endlich wieder in Wien war und die Kreation der Gruppe leitete, hatte ich zuvor ja vier Jahre praktisch im Flugzeug gelebt, und das hatte auch Auswirkungen auf das Familienleben gehabt.“ Rudi Kobza hatte Fliesser aus Deutschland heimgeholt. Als Kobza aber aus dem operativen Geschäft ausstieg, gab es zunehmend Probleme mit der neuen Geschäftsführer-Struktur. „Man hatte wenig Zeit für Kreation“, resümiert Fliesser trocken und will einen Schlussstrich unter diese Zeit bis Ende 2012 gezogen wissen.

Full-Service und 58 Mitarbeiter

Heute in Bratislava, im Jandl-Büro in einer Jahrhundertwende-Villa gleich hinter dem Präsidentenpalast, hat Fliesser jetzt wieder Bedingungen, wie er sie sich vorstellt: „Ich arbeite hier ja erstmals in einer inhabergeführten Agentur. Wir sind umsatzmäßig seit 2009 ununterbrochen die größte Agentur des Landes, sind im Kreativranking regelmäßig Top drei.“ Die 1993 gegründete „Jandl Marketing & Communication Specialist“ (die Firmenbezeichnung Jandl rührt nicht von einem Familiennamen her, sondern ist ein Konstrukt aus den beiden Vornamen der beiden Gründer) beschäftigt in Bratislava 50 Menschen und weitere acht im 2010 eröffneten Büro in Prag. Das slowakische Ranking führen zwei inhabergeführte Agenturen an, dahinter folgen lokale Partner von Leo Burnett, Saatchi & Saatchi, McCann Erickson oder Jung von Matt.

Auch ohne Netzwerk arbeitet Jandl für Märkte im ganzen CEE-Raum, „wir sind international ausgerichtet und in der lokalen Werbeszene gar nicht so integriert“, betont Fliesser und verweist auf sein 20-köpfiges Team in der Kreation, das aus Slowaken, Tschechen, Rumänen und Brasilianern ­besteht. Fliesser kommuniziert mit ­ihnen meist auf Englisch: „Selbst slowakisch zu lernen habe ich bald aufgegeben, und bezüglich Geschmack vertraue ich unseren Leuten hier blind.“ Alle Mitarbeiter erhalten auf Wunsch täglich Englisch- oder Deutschunterricht, Jandl hat eine ­eigene Mediaagentur, ein Digital ­Department und eine Human-Resources-Abteilung, jeden Monat werden die besten Ideen der Mitarbeiter mit Barem prämiert. Auch eine eigene Packaging Design Unit ist im Haus. Einzelne Dienstleistungen werden im Ausland zugekauft, in Rumänien, Japan, Thailand oder anderen Ländern.

Als Kunden hat Fliesser führende slowakische Unternehmen aus dem Lebensmittel-, Retail-, und Finanzsektor, einige aus der Industrie, dazu etwa den Zoo von Bratislava, eine NGO wie hierzulande „Licht ins Dunkel“, den Lotterien-Marktführer Tipos, oder auch die OMV. Mit den TV-Spots für Samdex, den lokalen Distributor von Samsonite, holte Fliesser in Cannes 2015 in der ­Königskategorie Film seinen, wie erwähnt, siebenten Löwen, der auch der erste Löwe für eine slowakische Agentur überhaupt war, bei 40.000 Konkurrenten aus 96 Ländern.

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Preis-Leistungs-Verhältnis

Der Bronze-Löwe steht unauffällig nebst Dutzenden Werbe-Trophäen aus aller Herren Länder im Jandl-Besprechungszimmer. Dort zeigt Fliesser HORIZONT die in Cannes ­prämierten Samdex-Spots, stellt Kreationen seines Teams vor, etwa ein TV-Format, oder die Arbeit für die Einzelhandelskette Coop und deren Eigenmarken, oder für das Pendant zur „Agrarmarkt Austria“. Das Spektrum der Leistungen reicht von Flugblättern über virale Kampagnen und Facebook-Games bis zu TV-Spots, Strategie, und Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle. „Wir haben in Bratislava also ein komplettes Team für Kunden aus Österreich mit ausgezeichnetem Preis-Leistungs-Verhältnis“, sagt Fliesser, und: „Das Geschäft in Wien wird anfangs über mich fast als One-Man-Show laufen. Außer einer Handvoll Copywritern und Account-Leuten brauch ich nicht viel zum Start.“

Über Bernd Fliesser

Als Absolvent der Kunstgewerbe HTL in Graz und mit ersten Sporen ebendort bei Gerhard Krölls Agentur Madison stieg Bernd Fliesser in Wien in den 1990er Jahren rasch via Ogilvy & Mather, Palla Koblinger Proximity PKP, FCBI/FCB Kobza in den Kreativ-Olymp auf. Sechs Cannes-Löwen eroberte er für PKP und FCB in den Kategorien Cyber und Direct Marketing. Wunderman in Frankfurt holte Fliesser dann ab 2005 als Chief Creative Officer Germany, Austria der WPP Group. Er betreute dort Kunden wie Lufthansa (Fliesser hatte die Idee zu den „Flugzeug-Nasen“ bei der WM 2006), Citibank, Land Rover, oder Microsoft, gewann Awards und erlangte für Wunderman Shortlist-Platzierungen bei den Cannes Lions. Auf die Rückkehr nach Österreich 2009 zu Draftfcb Kobza folgte ein Auslandgastspiel bei Jandl in Bratislava seit 2013, wo er den ersten Cannes Löwen für die Slowakei in der Kategorie Film gewinnen konnte.
Die Printanzeige mit Pferdestärken für den Auto-Tuner BSR wurde mit einer Lürzer’s-Archiv-Aufnahme geadelt.
Lucia ermáková
Die Printanzeige mit Pferdestärken für den Auto-Tuner BSR wurde mit einer Lürzer’s-Archiv-Aufnahme geadelt.
Bronzener Löwe in Cannes für den TV-Spot für Samsonite mit einem ziemlich „angefressenen“ Kofferschupfer am Flughafen.
Jandl
Bronzener Löwe in Cannes für den TV-Spot für Samsonite mit einem ziemlich „angefressenen“ Kofferschupfer am Flughafen.
Die Jandl-Sujets von 2014 für den Zoo von Bratislava waren auch in Lürzer’s Archiv zu sehen.
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Die Jandl-Sujets von 2014 für den Zoo von Bratislava waren auch in Lürzer’s Archiv zu sehen.
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