Intransparenz im Mediageschäft zum Schaden der Medienlandschaft? IGMA-Vorsitzender Peter Lammerhuber bezieht zu Verdächtigungen Stellung
Koch geht mit den Mediaagenturen hart ins Gericht und unterstellt ihnen, „Print bewusst in eine existenzielle Krise zu steuern – und das lediglich, weil sie an TV und Online mehr verdienen.“ Dass zumindest der zweite Teil dieses Befundes stimmt, räumt Peter Lammerhuber im HORIZONT-Interview (siehe Seite 2) als zutreffend ein. Insbesondere die Planung und Abwicklung von digitalen Werbeformen ist heutzutage für Mediaagenturen deutlich lukrativer. Der Vorwurf, dass Mediaagenturen ihre Auftraggeber aber gegen deren Interesse oder gar zu deren Schaden, was Markenführung betrifft, in Richtung Digital drängen würden, ließ Lammerhuber die Zornesröte ins Gesicht steigen.
Dies ist ein Bild, dass Lammerhuber nicht so stehen lassen will: Zwar räumt er offen ein, dass angesichts der stagnierenden klassischen Agenturhonorare die „sonstigen Erlöse“ (etwa Agenturbonifikationen, Skontodifferenz, Erlöse aus Trading oder Targeting) zunehmend für den wirtschaftlichen Erfolg von Mediaagenturen verantwortlich sind, der Vorwurf der Intransparenz gehe aber ins Leere. Denn die spezifischen Erlösmodelle von Agenturen seien klipp und klar mit dem Kunden geregelt, das würden schon die internen Controlling-Mechanismen der Agentur verlangen. Lammerhuber auf die Frage, ob das Mediageschäft sauber sei: „Ja, es ist klar geregelt.“
Das Interview finden Sie auf Seite 2:Interview mit Peter Lammerhuber:HORIZONT: Vor wenigen Wochen erschien ein Leserbrief (HORIZONT-Ausgabe 44, S. 4, hier zur Online-Nachlese) des deutschen Mediaexperten Thomas Koch, der Ihnen das G’impfte aufgehen ließ, wie man so schön sagt. Warum eigentlich?Peter Lammerhuber: Ich habe mich wirklich über diesen Beitrag geärgert. Denn im Endeffekt unterstellt Thomas Koch den Mediaagenturen, dass sie bewusst die Kunden gegen deren Interessen in den Onlinebereich hineindrängen. Außerdem stellt er die Werbewirkung und Sinnhaftigkeit von Online in Frage. Und das ist schlicht und ergreifend falsch.
HORIZONT: Inwiefern falsch?Lammerhuber: Zum Beispiel hat Koch in seinem Leserbrief moniert, dass im Onlinebereich kein Markenaufbau möglich sei. Wenn ich mir die dominierenden Werbeformate in Österreich und die Werbeauftritte der Kunden anschaue, dann empfinde ich, dass hier sehr wohl Markenaufbau stattfinden kann, da bei uns in Österreich ein Fokus auf großflächige Werbeformen gelegt wird. Fast 40 Prozent der gebuchten Formate laufen über großflächige und prominent platzierte Sitebars. Diese Werbeform erzeugt sehr wohl Branding. Ein Vorteil ist auch, dass die meisten Sites in Österreich linksbündig aufgesetzt sind, dadurch auf der rechten Seite des Browsers entsprechende Fläche für große Werbeformen frei ist. International sind viele Seiten mittig aufgesetzt und die Werbeformen sind teilweise winzig. Da kann man ruhig an der Werbewirkung zweifeln.
HORIZONT: So weit so gut, aber der Verdacht, dass Mediaagenturen überproportional ins Digitale drängen, geht ja über die Frage des Markenaufbaus hinaus.Lammerhuber: Es ist nun einmal Fakt, dass Menschen sowohl ihre Mediennutzung als auch ihr Kaufverhalten ändern. Dafür können Mediaagenturen nun wirklich nichts! Die Leser hatten damals auch weniger Chancen, Informationen, Meinung oder Unterhaltung anderswo zu beziehen. Heute hat er die grenzenlose Auswahl, und viele Printmedien tun sich sehr schwer mit ihrer Legitimation. Die bloße Nachricht ist längst nicht mehr der Grund, ebenso wie irgendwelche vorhersehbaren Leitartikel. Man muss dem Leser eine ganz eigenständige Positionierung bieten und einen echten Grund liefern. Manche haben das auch erkannt, aber über weite Strecken erodieren die Reichweiten aus genau diesen Gründen. Nur geht das in Österreich ohnehin sehr langsam vor sich, was vor allem an der unvergleichlich hohen Abodichte in diesem Land liegt. Die Verbreitung der Medien bleibt also weitgehend stabil, aber ob sie auch genutzt werden, ist eine zweite Frage. Im Regionalbereich läuft die Erodierung weniger stark als im nationalen Angebot – je tiefer die Regionalität, desto mehr hat Print noch einen Nutzen.
HORIZONT: Unabhängig von diesen äußeren Umständen ist es doch so, dass die Agentur mit digitalen Werbeformen mehr eigene Wertschöpfung erreicht, als mit klassischen Medien? Oder ist das eine Mär? Lammerhuber: Das ist grundsätzlich richtig: Online ist für Mediaagenturen besser honoriert. Und zwar, weil Themen wie Suchmaschinenwerbung oder die Abwicklung und Evaluierung von Onlinewerbung viel arbeitsintensiver sind und wir daher höhere Honorare verrechnen können. Im klassischen Bereich liegen die Honorarsätze wesentlich niedriger, wobei da natürlich die Volumina viel größer sind.
HORIZONT: Aber das Wachstum der Agenturen kommt aus dem digitalen Markt.Lammerhuber: Ja, wobei wir ja in diesem Bereich technologisch sehr stark aufrüsten müssen, was mit großen Investitionen verbunden ist. Hier matchen wir uns mit den Größten der Großen.
HORIZONT: Wenn Digital lukrativer ist, liegt es aber doch nahe, dass die Agenturen die Kunden dorthin drängen.Lammerhuber: Die Kunden und somit auch die Agenturen folgen dem Verhalten der Konsumenten. Wir richten uns nach den Problemstellungen unserer Kunden, und die verändern sich derzeit sehr stark, so wie sich derzeit die Märkte selbst verändern. Der stationäre Handel zum Beispiel ist in der jüngeren Vergangenheit durch unschlagbare Convenience des Onlinehandels enorm unter Druck gekommen. Sie bauen selbst Onlineshops auf und verlegen dementsprechend ihre Werbeetats auch stärker in digitale Kanäle. Es ist auch ein Irrglaube, dass nur Printmedien davon betroffen sind. Die stark wachsenden Bereiche sind derzeit Suchmaschinenwerbung, Performance-Marketing und Bewegtbildwerbung. Die gehen nicht alle zulasten von Print.
HORIZONT: Sondern?Lammerhuber: Die Verlängerung von Fernsehkampagnen mit Bewegtbildwerbung im Internet geht zum Beispiel vor allem auf Kosten der Hörfunkwerbung. Früher wurde Radio dazu verwendet, um Fernsehkampagnen zu verstärken und auf jüngere Zielgruppen auszuweiten. Heute läuft das über Onlinevideoangebote. Abgesehen davon muss ich eines ganz klar sagen: Es sind ja die klassischen Medien, die internationalen Plattformen wie Facebook oder Twitter die Zugriffe zutreiben, indem sie jeden Artikel dorthin verlinken oder ihre Twitter-Accounts promoten. Und dann wundern sie sich allen Ernstes, wenn die Werbeinvestitionen in Facebook erhöht werden?
HORIZONT: Dennoch besteht der kollektive Verdacht, Mediaagenturen würden auf dem Rücken von Medien ihr undurchschaubares Geschäft machen. Wie steht es denn um die Transparenz in der Beziehung zwischen Agentur und Auftraggeber?Lammerhuber: Kunden und Honorierungsmodelle ändern sich ständig und nehmen in ihrem Facettenreichtum stark zu. Und es ist ein Irrglaube, dass Kunden nicht wüssten, wie die Erlösmodelle ihrer Mediaagenturen aussehen. Jeder moderne Kundenvertrag sieht diesbezüglich genaue Regelungen vor. Alles andere ist nicht mehr marktkonform. Ich kann jetzt konkret nur für uns sprechen: Es vergeht fast keine Woche, in der wir nicht einen – teilweise sehr detaillierten – Audit im Haus haben, wo ein Etat von vorn bis hinten durchleuchtet wird.
HORIZONT: Warum, denken Sie, ist es so, dass um das Geschäftsmodell von Mediaagenturen so ein nebulöser Verdacht herrscht?Lammerhuber: Von Kundenseite kenne ich das überhaupt nicht. Die gehen ganz offensiv damit um, und verstehen unser Business. Es ist möglicherweise ein Marktthema, das stark von Medienseite getrieben wird. Womöglich ist es auch eine Schutzbehauptung angesichts sinkender Werbeeinnahmen. Ich habe übrigens hier an diesem Schreibtisch Vertreter klassischer Medien sitzen gehabt, die mich gefragt haben, wie viel Geld sie mir auf den Tisch legen müssen, damit ihre Werbeumsätze steigen?
HORIZONT: Und Ihre Antwort?Lammerhuber: Wiedersehen!
HORIZONT: Auch um die Höhe von Agenturbonifikationen herrschen wilde Mutmaßungen …Lammerhuber: Es ist jedenfalls nicht so viel, wie viele glauben, teilweise auch null. Aber ganz grundsätzlich: Verhandlungen haben einfach verschiedene Ebenen. Das ist ganz normal. Es ist doch aber auch verständlich, dass die vertraglichen Details zwischen Kunden und Agentur vertraulich bleiben und nicht bei jedem Zuruf von außen öffentlich gemacht werden.
HORIZONT: Das führt uns zum Spagat von Mediaagenturen: Berater oder Händler. Klingt, als wären Sie längst Großhändler?Lammerhuber: Wir sind beides, wobei zum Beispiel die GroupM es verbietet, Medien selbst zu besitzen; beziehungsweise, wenn wir Medien oder Werbeinventar besitzen, müssen wir den Kunden explizit darauf aufmerksam machen. Wir dürfen keinem einzigen Kunden ein Inventar, Produkt oder was auch immer anbieten, ohne dass er genau Kenntnis darüber hat, was für ein Modell dahinter steht.
HORIZONT: Soll diese Regelung den Spagat zwischen Berater und Händler entschärfen?Lammerhuber: Nein, so weit würde ich gar nicht gehen. Man kann eine gewisse Werbeform ja ohnehin nur dann einsetzen, wenn es von der Aufgabenstellung und der Zielgruppe her passt. Wenn das, was wir an Inventar verfügbar hätten, alles mit der Zielsetzung der Kunden übereinstimmen würde, wären wir kaufmännisch viel erfolgreicher. Der Vorwurf, dass wir für den Kunden nur das planen, wo wir selbst am meisten verdienen, weil wir selbst Inventar eingekauft haben, geht also komplett ins Leere. Oberste Priorität ist immer noch der richtige Mediaplan und nur dann, wenn der Kunde einen nachweisbaren Vorteil davon hat, dürfen wir diese Angebote unterbreiten. Der Kunde ist nicht dumm! Man kann doch nicht den Kunden unterstellen, dass sie nicht wissen, was sie tun. Oft ist auf Seiten des Kunden neben dem Marketing das Procurement eingebunden. Immer häufiger auch Mediaspezialisten, die in Mediaagenturen ausgebildet wurden.
HORIZONT: Das klingt ja plausibel, auf der anderen Seite ging der Stellenwert des Marketings in den vergangenen Jahren deutlich zurück und die Medienlandschaft hat an Komplexität stark zugenommen. Können die Auftraggeber wirklich im Detail noch mithalten?Lammerhuber: Ja, aber natürlich führt diese Entwicklung dazu, dass der Kunde nach einfachen Lösungen sucht. Wenn es so etwas wie einen One-Stop-Shop gibt, der ihm das Leben einfacher macht, kommt ihm das entgegen. Jeder Kunde bekommt Besuch von Vertretern praktisch jedes Medienunternehmens im Lande. Radios, Websiten, TV-Sender, Zeitungen, Magazine, Außenwerber, Social-Media-Vermarkter … Und alle erklären ihm, genau ihr jeweiliges Medium sei das Gelbe vom Ei. Na klar überfordert das die Kunden und führt dazu, dass sie auf Bewährtes setzen.
HORIZONT: Was auch zur zwiespältigen Stimmungslage gegenüber den Mediaagenturen beiträgt, ist die nach wie vor sagenumwoben hohe Profitabilität. Die Börse wird befriedigt, allerdings auf dem Rücken der heimischen Medienlandschaft.Lammerhuber: Der Zweck von Unternehmen ist ja, Gewinn zu erwirtschaften. Das ist keine Frage. Und viele Märkte in Europa sind auch nicht profitabel.
HORIZONT: Die hohe Rendite kommt vor allem durch einen Anstieg der „sonstigen Erlöse“ in der Bilanz zustande, was fällt da eigentlich alles hinein?Lammerhuber: Das stimmt, die Honorarumsätze sind durch den starken Wettbewerb kaum zu steigern. Sie steigen im Onlinebereich. Kunden operieren mit unterschiedlichen Zahlungszielen und logischerweise ergeben sich dadurch entsprechende Erlöse. Immerhin geht die Mediaagentur ja auch ins Risiko, indem sie die Werbebuchungen zwischenfinanziert und dabei auch voll haftet. Das ist aber nichts Neues. Außerdem kommen Umsätze aus unserem klar geregelten Anteil von Agenturbonifikationen, aus dem Verkauf von eigenem Inventar oder aus dem Bereich Targeting dazu. Darüber hinaus diversifizieren Mediaagenturen sehr stark in andere Erlösmodelle wie Produktion, Marktforschung, Modelling, und vieles mehr.
HORIZONT: Ist das Mediageschäft also sauber?Lammerhuber: Ja, es ist klar geregelt.
HORIZONT: Kommen wir zu Thomas Koch zurück, über den Sie sich so geärgert haben. Sie kennen ihn persönlich gut und schätzen ihn schon lange. In seinem aktuellen Buch schreibt er: „Wenn Sie Gauner oder Parasit werden wollen, sind Sie im Mediageschäft gut aufgehoben“. Wo, denken Sie, kommt diese Einstellung her?Lammerhuber: Das weiß ich nicht, vielleicht hat es damit zu tun, dass er – so wie ich ja auch – im Herzen immer ein Mediaplaner war und geblieben ist. Es ist aber nun einmal so, dass die Herausforderungen für jeden Marktteilnehmer extrem gestiegen sind. Das hat auf große Märkte mit einer extremen Medienvielfalt einen viel größeren Einfluss als auf kleine Märkte wie Österreich.
Dieses Interview erschien bereits am 21. November in der HORIZONT-Printausgabe 47/2014. Hier geht’s zur Abo-Bestellung.