Bitte nicht schreien!
 

Bitte nicht schreien!

Stefan Kolle, Geschäftsführer Kreation bei Kolle Rebbe in Hamburg, über die Kunst der Radiowerbung

HORIZONT: Was macht für Sie den Zauber der Radiowerbung aus?

Stefan Kolle: Als Praktikant habe ich in Österreich für einen Volkswagen-Funkspot meine erste goldene Venus beim CCA gewonnen – daher ist meine Beziehung zu Radiowerbung eine ganz besondere. Abgesehen davon: Radio ist relativ günstig, vor allem in der Produktion, es ist sehr schnell und außerdem im Bedarfsfall sehr regional. Und weil sich bei Radiowerbung nur wenige viel Mühe geben, ist es auch sehr einfach, aufzufallen. Gute Radiowerbung hat meistens eine akustische Idee, also etwas, was nur im Radio geht. Ein abgelesener Text, der sich halbwegs lustig oder intelligent liest, ist meistens kein guter Spot. Ein gelungenes Beispiel ist der Aspirin-Spot ohne Absender: „Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade Kopfschmerzen. Überlegen Sie jetzt fünf Sekunden – welches Mittel würden Sie dagegen nehmen?“ Da ist die akustische Lücke die Idee. Menschen akustisch zu fesseln ist eine Kunst, das macht für mich den Zauber der Radiowerbung aus. Allerdings beherrschen nur sehr wenige diese Kunst oder wollen sie überhaupt erlernen. Wer um 18.45 Uhr anfängt, noch schnell einen Funkspot zu schreiben, um rechtzeitig um 19 Uhr zu Hause zu sein, wird keinen Zauber entfachen.

HORIZONT: Gibt es Ihrer Meinung nach eine Radiowerbungskultur?

Kolle: Vor allem gibt es eine Radiowerbungsunkultur. Die äußert sich zum Beispiel in 15-Sekündern, in denen der Produktname laut Briefing mindestens viermal genannt werden muss. Oder noch besser: herausgeschrien wird. Ein anderes Beispiel sind die unglaublich langweiligen Standarddialoge, die mit „Du Schatz …“ schrecklich beginnen und im Off mit „Ja! Das neue XY-Produkt …“ genauso schrecklich enden. Der promotionale Charakter, den Radiowerbung ja unbestritten hat, verleitet offenbar dazu, Spots nach dem Tante-Emma-Prinzip zu konzipieren: Funkwerbung als hörbar gewordene Postwurfsendung, auf der in gelben Lettern „Jetzt kaufen!“ steht. Wenn man sich die Liste der Radio-Lions-Gewinner dieses Jahres anschaut, dann fällt auf, dass kein einziger deutschsprachiger Spot darunter ist. Hört man sich die Gewinner an, dann wird einem klar, dass es durchaus eine Radiowerbungskultur gibt. Aber eben leider nicht so sehr in Österreich, Deutschland und der Schweiz.

HORIZONT: Was sind dabei die größten Herausforderungen für Kreativagenturen?

Kolle: Es geht darum, dass die Leute einem gerne zuhören. Das tun sie nicht, wenn man sie anschreit oder ihnen das Gefühl vermittelt, dass alles, was sie hören, gelogen ist. Um da zu einer anderen Kultur zu kommen, muss Radio grundsätzlich anders gedacht werden. Erstens: Ein Radiospot sollte nie als Appendix einer Kampagne gesehen werden, den man dem Praktikanten überlassen kann. Zweitens: Radio ist keineswegs nur ein promotionales Medium, sondern kann auch dem Markenaufbau dienen. Wir haben das zum Beispiel damals mit der Bionade-Kampagne „Anrufe für eine bessere Welt“ geschafft. Die Lucozade-Spots, die dieses Jahr den Radio Grand Prix in Cannes gewonnen haben, sind auch ein gutes Beispiel. Da stimmt einfach alles: liebevoll und brillant getextet, toll produziert, mit fantastischen Sprechern – das kriegt man alles nicht hin, wenn man Radiowerbung stiefmütterlich behandelt.

HORIZONT: In Österreich sind die Netzwerkagenturen unter Druck. Wie sieht die derzeitige Agenturlandschaft in Deutschland aus?

Kolle: Ich habe das Gefühl, dass grundsätzlich alle Agenturen unter Druck stehen, das gilt nicht immer nur für Netzwerkagenturen. Inhabergeführte Agenturen haben aber eine stärkere unternehmerische Kultur und eine höhere personelle Konstanz. Das bringt viele Vorteile. Außerdem können auch inhabergeführte Agenturen weltweite Etats führen, wie wir es zum Beispiel für Lufthansa machen.

HORIZONT: Abschließende Frage: Ende der 80er-Jahre waren Sie bei der GGK in Wien. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Kolle: Tolle Leute, tolles Essen, tolle Stadt.

[Carolin Daiker]
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